Scrum4Schools nachhaltig im Unterricht verankern: Die Deutsche Schule Bilbao zeigt, wie’s geht!

Interview mit Ulrike Friese und André Engel von der Deutschen Schule Bilbao

Scrum4Schools ist eine agile Lernmethode, bei der Schüler:innen mehr Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen und Inhalte selbstständig erarbeiten. Scrum4Schools zielt darauf ab, die Lernerfahrung junger Menschen interaktiv, partizipativ und praxisorientiert zu gestalten, indem agile Prinzipien nachhaltig in den Unterricht integriert und dort verankert werden. Durch die Arbeit mit Scrum4Schools entwickeln Schüler:innen essenzielle Zukunftskompetenzen, wie Teamfähigkeit, Problemlösungskompetenz und Kreativität. So bereiten sie sich bereits in der Schule auf die Anforderungen einer sich ständig verändernden Arbeits- und Lebenswelt vor.

Die Deutsche Schule Bilbao ist eine von vielen Schulen, die sich auf den Weg gemacht hat, Scrum4Schools systematisch und langfristig in den Unterricht zu integrieren. In diesem Blog erfahrt ihr, wie mutig und unkonventionell Oberstufenkoordinatorin Ulrike Friese und ihr Kollege André Engel dabei vorgegangen sind und welche Erfahrungen sie und ihre Schüler:innen bei der Einführung von Scrum4Schools gemacht haben. Ich habe mit den beiden gesprochen und bin beeindruckt!

Ulrike Friese und Andre Engel von der Deutschen Schule Bilbao

Laura: Ulrike und André, ihr habt 2022 damit begonnen, an der Deutschen Schule Bilbao Scrum4Schools im Unterricht einzusetzen. Über eueren ersten Versuch haben wir bereits im November 2022 berichtet. Seitdem ist viel passiert: Erzählt uns ein wenig mehr über weitere Themen, die sich die Schüler:innen mit Scrum4Schools erarbeitet haben.

Ulrike: Genau wie du sagst arbeiten wir seit September 2022 mit rund 60 Schüler:innen der 8. Klasse mit Scrum4Schools im Unterricht. Diesen Ansatz wollen wir über den Zeitraum von mindestens einem Jahr verfolgen. Dazu haben wir die Fächer Geschichte, Erdkunde und Ethik zusammengelegt, so dass wir pro Wochen 6 Stunden am Stück Zeit für den fächerübergreifenden Unterricht mit Scrum4Schools haben. Das erste Thema, das die Schüler:innen mit der Methode bearbeitet haben, war der Städtebau (September – November 2022) und die Frage, was es alles braucht, um eine Stadt zu bauen. Mit „Es geht um die Wurst!?“ folgte die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema Ernährung (Dezember 2022 – Februar 2023), bei dem sich die Schüler:innen u.a damit beschäftigten, wie unsere Ernährung das Klima beeinflusst, welche Verantwortung der Mensch gegenüber der Umwelt trägt und wie sich Ernährungsweisen im Laufe der Zeit verändert haben. Aktuell geht es bei „Online am Limit“ um die Digitalisierung (März – Mai 2023). Die Schüler:innen setzen sich hier u.a. damit auseinander, wie das Handy und das Internet das Miteinander beeinflussen, wieso Menschen begonnen haben, sich zu vernetzen und was sie damals und heute am Fortschritt bzw. der Technik interessiert (hat).

Die Idee, drei Fächer zusammenzulegen, ist ja ziemlich clever. Dadurch habt ihr für die komplexen Themen, die du eben genannt hast, insgesamt mehr Zeit und könnt sie aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Wie hat euch die Arbeit mit Scrum4Schools dabei unterstützt?

Ulrike: Mit jedem neuen Thema, das wir mit Scrum4Schools bearbeitet haben, hat sich die Fächerstruktur noch stärker aufgelöst, ohne dass dabei die fächerspezifischen Perspektiven auf das jeweilige Thema außer Acht gelassen wurden. Beim Thema Ernährung beschäftigten sich die Schüler:innen z.B. neben ethischen Fragen („Welche Verantwortung trägt der Mensch für die Umwelt“) auch mit Fragen aus den Fachbereichen Geografie („Wie hat sich unsere Ernährungsweise globalisiert?“) und Geschichte („Wie hat sich unsere Ernährung im Laufe der Zeit verändert?“). Dadurch wurden komplexe Zusammenhänge für die Schüler:innen sichtbar, die bei einer eindimensionalen Betrachtung nach Fächern so wohl nicht erkennbar geworden wären. Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch mit Blick auf die konkrete Umsetzung haben wir durch Scrum4Schools neue Wege beschritten. Während wir beim ersten Thema „Städtebau“ zunächst noch mit einem Wochenplan arbeiteten, führten wir beim Thema „Ernährung“ lieber einen Praxistag ein: Jedes Lernteam hatte die Aufgabe, in der Vor- und Weihnachtszeit für die anderen in der Schulküche zu kochen. Der Lernzuwachs ergab sich hier vor allem aus dem sozialen Erleben und die Motivation der Schüler:innen gründete sich auf dem eigenständigen Tun, also der Selbstwirksamkeitserfahrung.

Ihr bearbeitet mittlerweile schon das dritte Thema mit Scrum4Schools. Wie sind die Erfahrungen und Ergebnisse aus den vorherigen Lernzyklen (Sprints) in den jeweils Nächsten eingeflossen? Kannst du da ein paar Beispiele nennen?

Ulrike: Klar, da fällt mir einiges ein! Zunächst einmal haben wir durch das wiederholte Anwenden von Scrum4Schools Sicherheit und Routine in der Nutzung der Methode gewonnen. Das gilt für uns Lehrkräfte genauso wie für die Schüler:innen. Unsere Lernzielformulierungen sind passgenauer geworden und der Lebensweltbezug der Schüler:innen hat an Bedeutung gewonnen und wird stärker berücksichtigt. Zudem integrieren wir aktuelle Entwicklungen unserer Schule nun aktiv in den Unterricht mit Scrum4Schools, z.B. beim Thema Digitalisierung und der Prävention von Missbrauch im Internet. Ich stelle für mich persönlich fest, dass ich insgesamt mutiger geworden bin, mich vom traditionellen Curriculum zu lösen und den Unterricht zugunsten der Stärkung der 4K (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und Kritisches Denken) und zur Vorbereitung unserer Schüler:innen auf die VUCA-Welt anders zu gestalten. Die Erfahrungen meiner Schüler:innen nehme ich bewusst im Unterricht mit auf und unterstütze deren Weiterentwicklung z.B. im Bereich Podcast, Film oder Portfolio. Ein weiteres Ergebnis der Arbeit mit Scrum4Schools ist, dass wir uns nach Abschluss des ersten Themas vom „Klassenrat“ verabschiedet haben, da die Schüler:innen aus diesem Modell herausgewachsen sind. Ziel des Klassenrats war es, die Mitbestimmung von Schüler:innen zu initiieren. Wir haben uns beim ersten Versuch mit Scrum4Schools noch zu Beginn jeder Stunde 20 Minuten Zeit genommen, um Probleme zu besprechen. Jetzt gibt es regelmäßige Retrospektiven, die das ersetzen. Und zu guter Letzt habe ich durch die Arbeit mit Scrum4Schools mehr Zeit, um mich um die leistungsschwächeren Schüler:innen zu kümmern und kann diesen mehr Aufmerksamkeit widmen.

VUCA steht für Volatilität, Ungewissheit Komplexität und Ambiguität. Der Begriff fasst die Herausforderungen zusammen, denen wir Menschen uns in einer digitalisierten Welt zunehmend stellen müssen.

Stellt ihr durch das Lernen mit Scrum4Schools auch eine Veränderung bei euren Schüler:innen fest? Was beobachtet ihr mit Blick auf ihren Lernerfolg?

Ulrike: Die 60 Schüler:innen der Klasse 8 bearbeiten jetzt schon das dritte Thema mit Scrum4Schools. Sie nutzen die Methode also seit gut neun Monaten jede Woche. Ich erkenne eine zunehmende Selbstverständlichkeit im Umgang mit Scrum4Schools als Prozessmanagement-Methode und in der Teamarbeit. Die Schüler:innen können eigene und fremde Stärken und Schwächen gut einschätzen, so dass die Arbeitsergebnisse kontinuierlich hochwertiger werden. Eigenständig Fragen zu entwickeln, gelingt ebenfalls zunehmend und wir können inhaltlich nun stärker in die Tiefe gehen. Die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung ist zudem eine Vorbereitung auf das Lernen mit Scrum4Schools in Klasse 9, wenn alle Schüler:innen in iPad-Klassen lernen.

André: Ich beobachte außerdem eine hohe Eigenmotivation und einen gekonnten Umgang mit digitalen Medien. Die Schüler:innen entwickeln komplexe Lernprodukte, die die Lernfreude sehr gut widerspiegeln (siehe Bild). Spannend ist auch, dass die Eltern uns zurückspiegeln, dass sie bei ihren Kindern eine erhöhte Selbstsicherheit, Kommunikations- und Konfliktlösungsfähigkeit sowie eine gestärkte Resilienz beobachten.

Lernprodukte zum Thema „Städtebau“ (September – November 2022)

Die Schüler:innen haben sich in regelmäßigen Abständen zu Team-Retros zusammengefunden. Habt ihr mitbekommen, welche Themen sie innerhalb der Teams in der Zusammenarbeit beschäftigt haben und wie sie damit umgegangen sind?

André: In den Retros der Teams steht ganz klar die Zusammenarbeit im Fokus. Bei unserem allerersten Versuch mit Scrum4Schools im September 2022 haben sich einzelne Schüler:innen in ihrem Team in den Vordergrund gebracht, Aufgaben verteilt und erledigt, und somit in ihrer „Schnelligkeit“ andere sprichwörtlich überfahren und so in der Zusammenarbeit verloren. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie Kommunikation im Team war ein großes Thema. Den Schüler:innen steckt das Einzelkämpfertum in den Knochen - sich gegenseitig anhand von Noten messen. Das sich aufeinander einlassen, einander zuhören und Arbeitsprozesse aushandeln, wurde durch die Retros Schritt für Schritt eingeschliffen. Es war für uns spannend zu beobachten, wie es in einigen Teams „geknallt“ hat und wie wichtig das Aufarbeiten dieses Knalls war, um sich dann auf das Inhaltliche konzentrieren zu können. Wir haben das natürlich begleitet, mit viel Geduld und immer auf Augenhöhe. Aber vieles haben die Teams auch selbst zurechtgeruckelt.

Schüler bei einer Team-Retrospektive

Auch für euch ist Scrum4Schools eine neue Methode zur Unterrichtsgestaltung. Was waren Herausforderungen für euch als Lehrkräfte und wie seid ihr damit umgegangen?

Ulrike: Zunächst brauchte es eine gemeinsame Idee, WIE wir den Unterricht eigentlich genau anders gestalten wollten. Aus unseren unterschiedlichen Vorstellungen eine gemeinsame Vision werden zu lassen und dabei den sonstigen Schulalltag ebenfalls zu bedienen, war die eigentliche Herausforderung. Enthusiasmus, Freude am Tun und Erfahrungen in anderen Kontexten haben André und mich durchhalten lassen. Wichtig ist, sich keinen (von außen) vorgegebenen Konzepten bedingungslos zu beugen, sondern vielmehr die Passgenauigkeit zwischen Erwartungen von Schüler:innen/Eltern, Curriculum und Qualitätsmanagement der Schule zu “ertasten”. Das darf auch mal ein Schuljahr dauern, wie es bei uns der Fall gewesen ist. Besonders herausfordernd waren für uns gerade in der Anfangszeit:

  • Die Anzahl an Kindern und deren individuelle Begleitung mit einer neuen Methode und mittels digitaler Geräte. Letztlich haben wir doch die Klassenstruktur erhalten und steuern bei der Gruppenbildung aktiv mit Kriterien. Wir geben Apps vor und arbeiten strukturiert mit dem Classroom (g-workspace).
  • Die knappe Zeit zum Planen und Organisieren intensiv zu nutzen, aber auch Freiräume zu lassen, war zunächst ein Drahtseilakt. Mit der zunehmenden Erfahrung und der Einigkeit zwischen André und mir, dass diese Art des Lernens eine sinnvolle Ergänzung im Kanon der Unterrichtsorganisation an unserer Schule ist, konnten wir schneller kollaborativ mit digitalen Mitteln arbeiten. Das macht es uns beiden leichter. Schließlich sind wir auch unseren Familien verpflichtet bzw. haben noch weitere Aufgaben an der Schule.
  • Humor und Gelassenheit sowie offene Kritik führten dabei zu Passgenauigkeiten zwischen Methode, Erwartungen und Schüler:innen.
  • Reden, Reden, Reden als das Gold, das das Gelingen ausmacht, sowohl miteinander als auch mit den Eltern und Schüler:innen und mit euch vom Scrum4Schools-Team. Nach dem Motto: lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Wichtig war auch, dass Wafaa Yalcin aus dem Scrum4Schools-Team bereits von Anfang an dabei war. Das hat die Schüler:innen beeindruckt und sie bestärkt.
  • Klassenarbeiten und Qualitätssicherung waren eine Herausforderung im Sinne des Spagats zwischen überprüfbarer Reflexionsfähigkeit und Darstellung von Wissen. Wir orientierten uns schließlich an den notwendigen Anforderungsbereichen und formulierten Aufgabenstellungen, angelehnt an unseren Erkundungsauftrag.

Das klingt alles richtig großartig! Wie geht es weiter bei euch? Welche Pläne habt ihr für eure Schule?

Ulrike: André und ich werden die gesammelten Erfahrungen zunächst mit den Schüler:innen auswerten und anschließend das Vorhaben in die Sekundarstufe II transferieren. Wir wollen auch weitere Projekte und Wettbewerbe unserer Schule mit einbeziehen, z.B. Jugend debattiert und andererseits die Struktur des regulären Unterrichts den Bedarfen unserer Zeit anpassen. Der erste Schritt ist dabei, unseren Weg der Digitalisierung mit Scrum4Schools zu kombinieren und über die Gestaltung der Lernräume in der Sekundarstufe II ins Gespräch mit dem Jahrgangsteam und den Schüler:innen zu kommen. Dazu gehören auch Absprachen über Handynutzung, Pausenregelungen und natürlich die Gestaltung von Klausuren. Das wird Zeit und Erfahrungsaustausch benötigen. Sicherlich auch wieder Mut, es einfach zu machen, allen Bedenkenträger:innen zum Trotz. Das gehört dazu. Ich sehe einfach mehr Gestaltungsspielräume und Chancen statt Grenzen - das bleibt! Ich bin dabei, das Schuljahr systematisch aufzuarbeiten über Reflexion, Arbeitsmaterial und Dokumentation von Ergebnissen, mit dem Ziel, die Digitalisierung in der Sekundarstufe I gewinnbringend für den Unterricht zu nutzen und auf einer Metaebene Gelingensbedingungen für Leitungsteams zur Verfügung zu stellen.

Ihr beiden, ich danke euch für das tolle Gespräch und bin gespannt, wie es bei euch weitergeht. Wir werden ganz bestimmt wieder von euch hören!

Scrum4Schools
Scrum4Schools im Unterricht
Laura Vollmann-Popovic
May 25, 2023

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