Am ersten Tag der Ausbildung kommen die Teilnehmenden in den (virtuellen) Raum. Sie sind Fremde, für uns Trainer:innen und füreinander. Sie kommen aus unterschiedlichen Kontexten, sind z. B. ScrumMaster, Change-Manager:innen oder Berater:innen, aktiv in mittelständischen Unternehmen, Konzernen oder selbstständig. Ihre Berufserfahrungen sind genauso unterschiedlich wie ihre Ausbildungen. Aus diesen Fremden wird im Laufe der Agile-Coach-Ausbildung eine Gemeinschaft. Ein Netzwerk, das sich gegenseitig unterstützt, voneinander lernt und durch seine Perspektivenvielfalt und Vertrauensbasis einen spannenden Austausch ermöglicht.
Ich bin überzeugt, dass das Netzwerk mit anderen Menschen und Organisationen eine unserer wichtigsten Ressourcen für die persönliche Weiterentwicklung ist und wir durch diesen Austausch wachsen. Aus diesem Grund lege ich als Trainerin in unserer Agile-Coach-Ausbildung großen Wert darauf, den Rahmen für diese Gemeinschaft zu setzen. Gleichzeitig zeigen meine Kolleg:innen und ich den Teilnehmenden, wie sie selbst in ihrem Umfeld solche Gemeinschaften schaffen können.
Die Ausbildung ist selbst ein Beispiel für ein entstehendes Netzwerk, das gemeinsam lernt und in dem sich Agile Coaches entwickeln. Wir nutzen gerne die Metapher der (Lern-)Reise, die nicht erst bei uns beginnt und auch nicht am Ende der Ausbildung abgeschlossen ist. Die Teilnehmenden werden eine Weile gemeinsam unterwegs sein, eine große Menge an agilem Handwerkszeug erleben und gemeinsam mit Wissen, Tipps und Tricks in ihren Rucksack packen.
Zu Beginn des ersten Moduls bereiten wir uns auf diesen Abschnitt der Reise vor und packen das notwendige Gepäck ein: die wichtigsten agilen Grundlagen. Da unsere Teilnehmenden schon einige Vorerfahrung mit Agilität haben, tauchen wir nicht in die tiefen Details ein, sondern legen den Fokus auf ein gemeinsames Verständnis der agilen Werte, Prinzipien und Praktiken, für die Frameworks Scrum, Kanban und Design Thinking. Außerdem erarbeiten wir, was es überhaupt heißt, als Agile Coach unterwegs zu sein und welche unterschiedlichen Hüte wir in dieser Rolle immer wieder aufhaben werden.
Wichtig für die Vorbereitung ist auch die Vision: Wozu machen sich die Teilnehmenden auf die Reise? Was wollen sie erreichen? Dieses klare Bild vor Augen hilft ihnen, sich klar zu positionieren und zu fokussieren. Mit der Visionsarbeit lernen sie nicht nur die Kraft kennen, die eine Vision freisetzt, sondern auch die Methodik selbst anzuwenden, z. B. für Führungskräfte-Workshops. Ganz nebenbei lernen die Teilnehmenden eine Menge über Workshop-Moderation und -methoden und über den Aufbau einer Gemeinschaft.
Ausgestattet und gut vorbereitet geht es in die Welt der Change-Facilitation. „Facilitation“ ist ein Begriff, für den es im Deutschen keine passende Übersetzung gibt. Am nächsten kommen ihm „Ermöglichen“, „Begleitung“ oder im praktischen Sinne „Moderation“, wobei letzteres zu kurz greift. In agilen Transformationen „facilitieren“ Agile Coaches den allgegenwärtigen Wandel. Die Teilnehmenden lernen Facilitation-Methoden für kleine und große Gruppen kennen und bekommen verschiedene Change-Ansätze an die Hand, um als Agile Coach Transformationen zu begleiten.
Dabei erleben die Teilnehmenden viele Methoden selbst, wie z. B. die Kreisarbeit und Appreciative Inquiry, oder planen den Start eines Transformationsteams. Anhand von vielen Beispielen erfahren die zukünftigen Agile Coaches aus der jahrelangen Praxis von uns Trainer:innen, wie und mit welchen Tricks sie diese Ansätze gut nutzen können – und wo sie vor der trügerischen Sicherheit von Best Practices aufpassen müssen.
Wenn wir als Berater:innen in Unternehmen kommen, erwarten manche, dass wir auf der Grundlage unserer Praxiserfahrungen eine Menge Best Practices in der Hinterhand haben und nach einer Analyse der Situation einfach im Hinterzimmer einen Plan für die agile Transformation ausarbeiten, den wir dann nach ausgiebiger Rücksprache mit dem Top-Management ausrollen. Doch die Systemtheorie lehrt uns: Das funktioniert nicht.
Bei Transformationen sind wir in komplexen Umfeldern unterwegs und können keinen vorgefertigten Plan abarbeiten. So war es auch bei meinem letzten Transformationsprojekt. Statt eines fertigen Plans legten wir dem Management einen auf den ersten Blick simplen Vorschlag vor: Wir wollten ein Team aufstellen, das die Vielfalt des Unternehmens widerspiegelt und selbst – mit unserer Unterstützung – in einem agilen Projekt die Transformation begleitet: das Transformationsteam. Dieses Team startet Piloten (Pilotteams mit Pilotprojekten) und weitet das, was sich als gut erweist, auf andere Teams aus und beseitigt unterwegs Hindernisse.
Nach kurzer anfänglicher Skepsis hat sich das Unternehmen für das Transformationsteam entschieden. Als Agile Coaches haben eine Kollegin und ich einen Bewerbungsprozess für interessierte Mitarbeiter:innen gestartet und dann ein diverses Team aufgesetzt, das gemeinsam mit uns den Wandel im Unternehmen begleitete. Wir schulten die Beteiligten in agilen Arbeitsweisen, wir bauten ihr erstes Transformations-Backlog auf und starteten mit den Sprints. Das Transformationsteam entwickelte beispielsweise mit unserer Begleitung eine starke Vision, ein Zielbild und Kommunikationsmaßnahmen. Es startete agile Pilotteams, löste Ressourcenprobleme und organisierte Fortbildungen. Natürlich traf das alles nicht immer auf Begeisterung. Es gab Frust und Konflikte, Phasen der Demotivation und das „Tal der Tränen“. Doch genauso gab es Erfolgsmomente und Stolz.
Dies ist eins von vielen Beispielen, die in der Ausbildung die Theorie unterfüttern. Und bei dem die Teilnehmenden Zeit für Fragen, Austausch und Reflexion haben.
Nach zwei mal drei Tagen ist die Reisevorbereitung und die erste Etappe – Modul 1 von 3 – abgeschlossen und die Teilnehmenden können das Erlernte nutzen, um in ihrem eigenen Kontext Transformationsteams aufzubauen und in ihrem agilen Prozess zu begleiten sowie Moderationen in Großgruppen durchzuführen.
In der zweiten Etappe erklimmen die Teilnehmenden weitere Berge der Transformation, wie agile Skalierungsframeworks, Micro-Enterprises, Soziokratie, OKR und Grundlagen des systemischen Denkens. Dazu gibt es demnächst einen weiteren Blogartikel.
Titelbild: Antonio Janeski, Unsplash