Es herrscht Pflegenotstand! Wegen fehlenden Personals können Betten nicht belegt und OP-Säle nicht betrieben werden. Krankenhäuser priorisieren Eingriffe und verteilen Fälle in andere weit entfernte Einrichtungen. Überstunden können fehlende Fachkräfte nicht mehr kompensieren. Was in Deutschland bereits Schlagzeilen macht, ist auch in Österreich Realität.
Mehr und mehr Menschen mit Berufen im Gesundheitswesen kommen an die Grenzen der Belastbarkeit. Mit der Pandemie und der damit verbundenen Belastung hat die Unzufriedenheit einen absoluten Höchststand erreicht: „Vier von zehn Beschäftigten im Gesundheitswesen empfehlen ihren Beruf jungen Leuten nicht - Rekord!“ so die Überschrift zu einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage von HDI im Dezember 2021. Sicher, die Corona-Pandemie hat ihren Anteil daran, aber die Ursachen scheinen grundlegender Natur zu sein. So nennt jeder Zweite im Medizinbereich Zeitdruck als größte berufliche Belastung - ebenfalls ein Rekordwert.
Die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, allen voran die Gesundheits- und Krankenpfleger:innen, sind überwiegend intrinsisch motiviert und wollen gern im Team arbeiten und Menschen helfen. Krankenhäuser sind der zentrale Ort der medizinischen Leistungserbringung und sollten insofern eine natürliche Anziehungskraft auf diese Menschen haben. Die Realität sieht jedoch anders aus: Durch die starke Arbeitsteilung und Prozessorientierung, ist der Sinn und Zweck von Krankenhäusern für den einzelnen Mitarbeitenden kaum mehr erkenn- oder erlebbar. Seine Wirksamkeit wird auf die arbeitsteilige Leistung reduziert. Echte Zusammenarbeit findet immer wieder Grenzen an den Berufsgruppen und Abteilungen. Hieraus ergeben sich spürbare Kommunikations- und Schnittstellenprobleme. Weiter sind Hierarchie und Bürokratie stark ausgeprägt, sodass Führung häufig autoritär wahrgenommen wird. Eine Folge: Die Art und Weise der Arbeit im Krankenhaus demotiviert die Menschen zunehmend.
Gleichsam haben sich die Ansprüche der nachwachsenden Generationen an ihre berufliche Lebensgestaltung geändert. Die Generation Y und Z wollen mehr Selbstbestimmtheit in ihrem Leben. Sie hinterfragen mehr, sind flexibler in ihrer Berufswahl und auch später bei der Wahl des Arbeitgebers. Eine ausreichende Bezahlung gehört für sie ebenso zur Wertschätzung wie ein modernes und förderliches Arbeitsumfeld. Sie sind es gewohnt, ein Mitspracherecht zu haben und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, statt sich von jemandem etwas diktieren zu lassen. Sie wollen daher auch im Berufsleben mitentscheiden und stellen eine autoritäre Personalführung sowie starre Hierarchien in Frage.
Die Mitarbeitenden wechseln in Teilzeit, suchen sich Alternativen, wie ambulante Pflegedienste oder niedergelassene Arztpraxen, oder wechseln gänzlich in andere Berufe. Die Situation im Gesundheitswesen insbesondere in den Kliniken verschärft sich dadurch abermals. Der Wettbewerb im Gesundheitswesen wird daher zunehmend um die Mitarbeitenden ausgetragen. Es gibt bereits Plattformen für Pflegekräfte, die sich zum Auftrag gemacht haben, nur noch in ein gutes Arbeitsumfeld zu vermitteln (www.carerockets.com). Aber was ist ein “gutes” Arbeitsumfeld? Hier muss man sich nur einmal Modelle, wie beispielsweise Buurtzorg in den Niederlanden anschauen - ein unglaublich erfolgreiches Unternehmen für ambulante Pflegeleistungen mit inzwischen über 13.000 Mitarbeitenden. Diesen Erfolg hat Buurtzorg einer vollständig, auf die Bedürfnisse der Patient:innen und Mitarbeitenden ausgerichteten, agilen Kultur und Organisationsform zu verdanken. Ein ähnliches Konzept verfolgt der norddeutsche Pflegedienstleister kenbi, der konsequent die Selbstbestimmtheit der Arbeit ihrer Mitarbeitenden in den Fokus rückt.
In den Krankenhäusern gibt es hingegen wenig Bewegung. Wie dramatisch die Situation ist, zeigen aktuelle Kampagnen, durch die Pflegekräfte mit Prämien angelockt werden sollen. Nicht selten müssen diese Gelder bei der Patient:innenenversorgung oder bei anderen Berufsgruppen wieder eingespart werden. Zudem enthalten unterschiedliche Gehälter für neue und alte Mitarbeitende ein erhebliches Konfliktpotential. Es müssen also andere, nachhaltigere Lösungen gefunden werden. Und hier gibt es Hoffnung...
Die gute Nachricht: Die oben bereits skizzierten und in anderen Branchen vielfach bewährten agilen Arbeitsweisen und -formen lassen sich auch auf den Krankenhausbetrieb übertragen. Krankenhäuser sind sogar aufgrund ihrer Komplexität geradezu prädestiniert dafür. Denkbar sind hier kleine, interprofessionelle Teams, die End-to-End-Verantwortung für “ihre” Patien:innen übernehmen und alle erforderlichen Maßnahmen selbst organisieren. Die Führung dieser Teams erfolgt dabei nicht mehr berufsbezogen und disziplinär, sondern lateral und Team basiert. Die Vorteile liegen auf der Hand: Echte Teamarbeit, ganzheitliches Einbringen und selbstbestimmtes Arbeiten. Die agile Transformation von der Strategie bis zur operativen Team-Begleitung erfolgt dabei nicht in einem “Big Bang”, sondern schrittweise und immer in enger Abstimmung mit allen Beteiligten – also im besten Sinne des Wortes agil.
Was denken Sie? Wäre das ein Modell für Ihr Krankenhaus? Sprechen Sie mich gern an.
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