Erst kürzlich hatte ich eine Unterhaltung, in der mir mein Gesprächspartner stolz erzählte: „Ich habe jetzt auch endlich eine Ausbildung als ScrumMaster absolviert. Probleme in Teams zu beheben, machte mir schließlich schon immer Spaß. Und für die Moderation von Meetings habe ich eine Weiterbildung gemacht. Das kann ich auch neben meinen eigentlichen Aufgaben erledigen.“Und so werden Heerscharen von ScrumMaster ausgebildet, die in ihre Teams gehen, um Meetings zu moderieren und Impediments zu lösen. Denn das ist schließlich unsere Aufgabe, oder nicht?
Ja, natürlich fallen diese Aufgaben in den Verantwortungsbereich eines ScrumMasters. Aber für mich als passionierte ScrumMasterin ist das nur die Spitze des Eisbergs. Der eigentliche Sinn dieser Rolle geht viel tiefer.Was tut also ein guter ScrumMaster? Er führt eine Methode ein und stellt die Produktivität des Teams sicher, doch auch das greift meiner Meinung nach noch zu kurz. Denn die Methode Scrum ist ein Impuls für etwas Größeres, für den Kulturwandel im gesamten Unternehmen. Aus der Methode heraus ergeben sich neue Werte und Prinzipien, eine neue Einstellung der MitarbeiterInnen und dadurch das Potential, die Unternehmenskultur nachhaltig zu verändern.Der ScrumMaster ist also auch ein Change Agent. Er muss sein Team und die Organisation durch den Wandel führen. Diese Führungsrolle lebt er aber nicht als disziplinarischer Vorgesetzter mit entsprechender Weisungsbefugnis aus, sondern bewegt die Teams und das Management durch seine laterale Führung. Er verkörpert eine neue Kultur und das für viele Kollegen und Kolleginnen ganz neue, agile Mindset. Er geht mit gutem Vorbild voran, lebt die Scrum-Werte und -Prinzipien jeden Tag, sodass die Teammitglieder diese nach und nach verinnerlichen.
Viele Menschen entscheiden sich für eine Ausbildung als ScrumMaster, weil sie mit einzelnen Teilaufgaben dieser Rolle liebäugeln. Sie stürzen sich voller Motivation auf ausgewählte Aspekte und vergessen dabei, dass 85 % der eigentlichen Themenfelder gut verborgen unter der Oberfläche zu suchen sind. Vielleicht ist manchen bewusst, dass sie auf ihrem Weg als ScrumMaster noch weitaus anspruchsvollere Aufgaben vor sich haben, als den zeitlichen Rahmen in Meetings einzuhalten. Meiner Erfahrung nach rechnen sie jedoch oft nicht damit, dass sie ins eiskalte Wasser eintauchen müssen, sobald sie auf eines der etwas tiefer gehenden Themen treffen. ScrumMaster brauchen also die Bereitschaft, immer und immer wieder unbekannte Dinge auszuprobieren, Fehler zu machen, Neues dazuzulernen und an sich selbst zu wachsen.Betrachtet man insbesondere die Aufgaben als Change Agent, der den Wandel vorantreibt, dann sind Ausdauer und Durchhaltevermögen ebenso wie der Mut gefragt, den Status quo in den Teams immer und immer wieder herauszufordern. Darüber hinaus braucht es Offenheit, um die agilen Werte und Prinzipien in der Organisation und den Teams zu verankern und dadurch den Kulturwandel zu forcieren – ebenso wie Offenheit gegenüber der Geschwindigkeit der Teams. Deshalb ist ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Selbstreflexion notwendig. Denn man muss immer wieder hinterfragen, ob man die vorgesehenen Veränderungen einleiten konnte und – falls nicht – was man in der Umsetzung anpassen kann, um den Change anzustoßen.
Ein guter ScrumMaster ist jederzeit bereit, über sich selbst hinauszuwachsen. Ich habe im Folgenden ein paar Fähigkeiten gesammelt, auf die es meiner Erfahrung nach im agilen Arbeitsalltag ankommt:
Es ist natürlich noch kein Meister vom Himmel gefallen und ich weiß, dass es viele wirklich begnadete Eis-Schwimmer gibt. Meine Anregung ist jedoch: Bitte seid ehrlich mit euch selbst und hinterfragt kritisch, ob ihr die richtigen Fähigkeiten für die Rolle des ScrumMasters habt und die Offenheit mitbringt, Neues zu lernen und auch in Aufgaben einzutauchen, die euch vielleicht nicht so sehr liegen. Denn ihr werdet den Wandel im Unternehmen kontinuierlich vorantreiben und habt damit eine zentrale Rolle, zu der ihr euch bewusst committen solltet.