Kennst Du ScrumMaster, die auch starken Gegenwind aus dem eigenen Team aushalten können? Die mit ihrem Team in leidenschaftliche Diskussionen gehen und auch dann nicht von ihrem Standpunkt abrücken, wenn das Team geschlossen anderer Meinung ist? Wenn ein ScrumMaster wirklich laterale Führung ausüben soll, dann müssten wir solche Situationen viel öfter erleben.
Reinhard K. Sprenger zeigt in seinem Buch Radikal führen, dass Führung zum Lösen von Konflikten da ist. Was tun, wenn zwei oder mehr Handlungsalternativen da sind - und keine sich auf den ersten, zweiten oder gar dritten Blick als die eindeutig bessere entpuppt? Oft muss eine Entscheidung her. Und genau das - die Fähigkeit, in solchen Momenten Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen - macht Führung aus.Sprenger unterscheidet zwischen Wahl und Entscheidung. Bei einer Wahl können wir die verschiedenen Optionen auf die Waagschale legen. Wir können dann sehen, welche schwerer wiegt - wo die besseren Argumente sind. Bei einer Entscheidung ist die Ausgangslage komplett anders: Es gibt für jede Handlungsoption Argumente, aber keine Option sticht deutlich genug hervor, um die Situation entscheidbar zu machen.
Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein Scrum-Team möchte nach sechs Monaten die Länge des Sprints von zwei auf drei Wochen verlängern. Es hat diesen Wunsch nun schon in mehreren Retrospektiven thematisiert und verschiedene Argumente dafür vorgebracht. Das Meinungsbild im Team ist seit mehreren Wochen unverändert geblieben.Der ScrumMaster dieses Teams hat zumindest zwei Möglichkeiten:
Angenommen, der ScrumMaster wählt den zweiten Weg. Seine Position ist für die Beibehaltung der zweiwöchigen Sprints - damit geht er in das Team. Da der ScrumMaster keine disziplinarische Führungkraft ist, darf er seine Entscheidung dem Team nicht einfach vorschreiben. Er muss es dazu bringen, seine Entscheidung mitzutragen.Wichtig sind hier vor allem zwei Dinge:
Für den ScrumMaster ist die Situation eine Probe seiner Autorität: Wenn das Team seine laterale Führungsrolle anerkennt, wird es ihm letztlich folgen. Wenn es das nicht tut, wird es seiner ursprünglichen Überzeugung folgen und damit dem ScrumMaster signalisieren: "Du gibst uns nicht den Weg vor."So gesehen hat der ScrumMaster für sein Team eine Ankerfunktion: Er markiert Positionen als unverrückbar und setzt damit dem Team Handlungsgrenzen. Diese Grenzsetzung darf ruhig Irritation auslösen und konträr zum Team stehen. Negativ wird Führung erst dann, wenn sie die Entwicklung des Team einschränkt. Dann wird der ScrumMaster zum Impediment - und sollte besser gehen.Keine Führung (und das ist unter ScrumMaster die weitaus häufigere Situation) kann aber ebenso verheerend sein. Denn ein ScrumMaster, der immer nur sein Team entscheiden lässt, mag zwar jede Menge von Scrum verstehen - sein Team wird er damit nicht wirklich befruchten können. Denn Meister kann nur sein, wer die Gefolgschaft eines Lehrlings für sich gewinnen kann.Reinhard K. Sprenger 2012: Radikal führen. Campus Verlag.Siehe auch: Der ScrumMaster, der besser keiner sein sollteFührung selbstorganisierter Teams - alte Theorie vs. Scrum