Der agile Ingenieur

Längst setzen viele Firmen bei ihrer industriellen Produktentwicklung auf Methoden wie Design Thinking, Scrum oder Kanban. Wir sehen agile Transformationen ebenso wie Projekte, die mit einer klassischen Vorgangsweise zunächst scheiterten, dann als agile Projekte zurückkommen, durchstarten und kurz darauf liefern. Es gab bereits vor Jahren die ersten Vorträge zu Nano Scrum, in denen Teile eines Rücksitzes für die Autoindustrie in drei Tagessprints entworfen wurden. Es gab bereits Ideen dazu, ein ganzes Auto mit Scrum zu entwickeln, wie uns Joe Justice zeigte. Wir selbst beraten seit Jahren Firmen bei Hardware-Projekten (Medizintechnik, Biotechnologie oder Flugzeugbau). Aber die Durchdringung der Produktentwicklungswelt ist, abseits der reinen digitalen Sphäre, sicher nicht annähernd so weit, dass man hier durchgehend von der Anwendung agiler Produktentwicklungstechniken sprechen kann und wir könnten unzählige Gründe dafür aufzählen. Doch ich möchte hier nur einen sehr provokanten Aspekt erläutern.

Von der Software-Entwicklung lernen

Ein fundamentaler Unterschied zwischen der digitalen Produktentwicklungswelt und der Hardware-Entwicklungswelt liegt in der Ausbildung und dem Mindset der Menschen, die in diesen Wirtschaftszweigen arbeiten. Wie Software-Ingenieure und -Entwickler denken, habe ich gemeinsam mit Björn Schotte in einem meiner Podcasts ein wenig beleuchtet: Die eigenen Ergebnisse zu teilen, an immer neuen Problemen und in Teams oder als Teil von einem großen Ganzen zu arbeiten, ist für sie ganz selbstverständlich. Für sie ist auch klar, dass die fachlichen Spezialisierungen wie auch die arbeitsteiligen Prozessketten immer wieder überdacht werden müssen und sich im Laufe der Zeit auflösen.Wir sprechen dem Hardware-Ingenieur – dem Maschinenbauer, dem Elekroingenieur, dem Bauingenieur – nicht ab, dass er in Prototypen denken kann, schnell etwas entwickeln will und weiß, dass er nur als Teil von einem Team erfolgreich sein wird. Dennoch ist die Arbeitsteilung in der Hardware-Entwicklung so extrem ausgeprägt, dass sie sich nicht nur auf die Spezialisierung des Einzelnen auswirkt, sondern die Spezialisierung der Firmen, der Branchen, ja sogar von ganzen Regionen prägt. Gemeinhin nennt man diese Firmen dann Zulieferer. Diese Allianzen haben sich verfestigt und arbeitsteilige Arbeitsweisen haben sich herausgebildet, die scheinbar gottgegeben sind. Dann heißt es: „Wir müssen auf die Teile von X, warten“ oder: „Das ist zu teuer. Das machen wir hier nicht.“Es gibt dann „tausend Gründe“, warum die Dinge in den traditionellen Prozessen zu lange dauern, gewisse Zwänge eingehalten werden müssen oder etwas nicht auf andere Weise entwickelt werden kann. Das System, das hochgebildete Ingenieure in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben und das wie ein eingespieltes Uhrwerk funktioniert, gibt das nicht her.

Digitales Mindset in der Hardware-Entwicklung

Der gerade einsetzende Change bei der Hardwareentwicklung hin zu agilem Arbeiten kommt aber aus einer anderen Ecke, nämlich von der Digitalisierung und den Software-Firmen, den Innovationsclustern der Welt. Silicon Valley, Boston und New York, Tel Aviv und Zürich sind Digitalisierungshochburgen, deren Menschen „digital“ denken. Nicht in Nullen und Einsen, sondern in „Sowohl als auch“. Sie denken in Sharing, in Openness und in Selbermachen und sie wissen, „good enough“ ist tatsächlich good enough und muss nicht weiterverbessert werden. Es geht nicht um Perfektion, sondern um angemessene Lösungen. Letztlich denken sie auch demokratischer, weil sie sich im Dialog mit dem Netzwerk sehen: Jede noch so kleine Firma und damit auch jeder Ingenieur kann die bessere Idee haben. Und er oder sie darf mit dieser Idee auch scheitern. Sie muss nicht perfekt sein. Entscheidend ist nur, ob sie nützlich ist oder nicht.All das erzeugt eine Offenheit für Neues, eine Kultur des Ausprobierens und einen brutalen Selektionsdruck. Nur wer sich mit seinen Ideen durchsetzt, Mitstreiter oder Investoren findet, der „überlebt“. Doch wer es nicht schafft, der gibt nicht auf, sondern macht weiter. Es gibt kein Versagen, nur Erfahrungen.

Innovationen entstehen beim Ausprobieren

Dieses Denken – dieses Ausprobieren – das haben wir in unseren deutschen und österreichischen ISO-normierten Industrie-Arbeitsplätzen und arbeitsrechtlich konformen Innovationslabs verloren. Einfach mal einen Lötkolben in die Hand zu nehmen, geht nicht, weil man dafür die richtige Zutrittskarte braucht. Klassische Ingenieure in diesen Umfeldern können aus meiner Sicht gar nicht kreativ und einmal anders denken. Denn das kreative Denken braucht das Haptische. Innovationen entstehen nicht am CAD-Arbeitsplatz, der mir Millionen von Varianten für die passende Schraube oder das geeignete Bauteil vorgibt, sondern beim Spielen, beim gemeinsamen, fachübergreifenden Austausch und beim Lösen eines konkreten Problems.Wir müssen umdenken und unsere Ingenieure zu agilen Ingenieuren machen, die in anderen Bahnen denken dürfen. Ich bin mir sicher, dass die meisten gerne mehr ausprobieren und fokussierter und ganzheitlicher Aufgaben erledigen würden.In unserem Online-Meetup am 26. Mai wollen wir dem Wesen des agilen Ingenieurs ein wenig auf die Schliche kommen. Ich freu mich, wenn ihr vorbeischaut. Hier könnt ihr euch anmelden.Foto: Unsplash License, ThisisEngineering RAEng

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Produktentwicklung
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Boris Gloger
May 11, 2020

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