Als Arbeits- und Organisationspsychologe werde ich oft gefragt, ob es Belege für die positiven Auswirkungen des agilen Arbeitens auf Mitarbeiter:innen und Teamprozesse gibt. Manchmal steckt hinter dieser Frage bloßes Interesse – noch häufiger sollen die Ergebnisse aber als zusätzliche Argumente für den Einsatz agiler Methoden dienen.
Die bekanntesten und am häufigsten erwähnten Studien im agilen Kontext geben darauf wenige Antworten, weil sie in der Regel Agilität auf einer anderen Ebene untersuchen. Hauptsächlich geht es dabei um die Verbreitung, Anwendung und Wirksamkeit der agilen Methoden. Es gibt aber inzwischen eine Vielzahl an Studien, die zu diesen eher „weichen“ Faktoren sehr wohl eine Antwort geben.
Der wohl am öftesten zitierte Report, der den Erfolg von agilem Management belegt, ist der Chaos Report der Standish Group. Kurz zusammengefasst besagt der Report, dass agile Projekte erfolgreicher sind als traditionelle IT-Projekte (1). Neben dem Report der Standish Group ist die seit 2007 jährlich erscheinende Studie State of Agile die derzeit kontinuierlichste Erhebung mit einem reinen Agilitätsfokus. Sie untersucht die weltweite Verbreitung von Agilität in Unternehmen, die verwendeten Elemente und die Herausforderungen (2). Im deutschsprachigen Raum erscheint alle zwei Jahre die Studie Status Quo Agile von Professor Ayelt Komus (Hochschule Koblenz), die vorrangig die Verbreitung und Nutzung verschiedener agiler Methoden untersucht (3).
Alle Aussagen und Ergebnisse, die ich hier vorstelle, beziehen sich hauptsächlich auf Forschungsarbeiten aus der Psychologie und den angrenzenden Disziplinen. Alle Studien wurden in anerkannten Peer-Reviewed Journals veröffentlicht.
In Teams, die agil arbeiten, herrscht eine höhere Arbeitszufriedenheit – und das sowohl bei Teammitgliedern als auch bei Manager:innen (4, 5). Die zwei kanadischen Wissenschaftler Melnik und Maurer haben bei einer weltweit durchgeführten Studie mit über 1000 Teilnehmer:innen herausgefunden, dass die Arbeitszufriedenheit höher war, je mehr Erfahrung die Personen mit agilen Methoden hatten. Im Vergleich zu nicht agil arbeitenden Teams waren doppelt so viele Teammitglieder aus agilen Teams zufrieden mit ihrer Arbeit. Den größten Einfluss auf die Zufriedenheit hatte die Möglichkeit, Entscheidungen zu beeinflussen, die einen selbst betreffen.
Im Vergleich zu klassischen Methoden erhöht agiles Arbeiten die Motivation von Teammitgliedern, miteinander zu kollaborieren. Für die Softwareentwicklung gibt es bereits ein Set an gut untersuchten Motivatoren für Individuen und Teams. Zu den generellen Motivatoren (6) zählen ein höherer Grad an Autonomie jedes einzelnen, das Treffen von Entscheidungen im Team und die Beteiligung von Teammitgliedern an wichtigen Entscheidungen. Als demotivierend wird vor allem der mangelnde Einfluss auf Entscheidungen angesehen. Diese Faktoren wurden in der Forschung speziell für agile Teams bestätigt (7, 8), ähnliche Ergebnisse zeigen sich aber auch in den bisher bekannten Forschungskonzepten zur Motivation. Das Teamsetting in agilen Teams fördert die soziale Eingebundenheit, die Kompetenz und die Autonomie von Teammitgliedern, was beispielsweise nach der Selbstbestimmungstheorie – einer der am ausführlichsten beforschten Motivationstheorien – die Voraussetzung für das Erleben von intrinsischer Motivation am Arbeitsplatz ist (9).
Zusätzlich gibt es Belege dafür, dass in agilen Teams eine bessere Kollaboration (10) stattfindet und die Kommunikation bzw. der Informationsfluss (11, 12) (sowohl informell als auch formell) effektiver ist. Software-Entwickler in agilen Teams haben ein stärkeres Gefühl von Empowerment (13), das sich durch die größere Möglichkeit auszeichnet, die eigenen Aufgaben auszusuchen und Prioritäten gemeinsam im Team zu setzen.
Eine weitere spannende Erkenntnis ist, dass zu selbstverantwortlichen Entscheidungen ermächtigte (empowerte) agile Teams besser mit Stress umgehen können (14). In einer bei Nokia durchgeführten Studie mit über 500 Teilnehmer:innen hat sich herausgestellt, dass solche Teams besser mit herausfordernden Phasen umgehen konnten und eine ausgeglichenere Arbeitslast hatten. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass agil arbeitende Teams regelmäßig an ihre Leistungsgrenzen gehen und selbstständig Mechanismen entwickeln müssen, wie sie damit umgehen. Tun sie das nicht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine hohe Arbeitsbelastung entsprechende Stresssymptome bei den Mitarbeiter:innen hervorruft.
Zu guter Letzt eine Fragestellung, die häufig diskutiert wird: Ist agiles Arbeiten auch etwas für ältere Mitarbeiter:innen? Die Ergebnisse einer Studie geben hierauf eine klare Antwort: Die Bereitschaft agil zu arbeiten, nimmt nicht per se mit dem Alter ab (15). Allerdings hat die subjektive Alterswahrnehmung darauf einen erheblichen Einfluss. Die Bereitschaft, mit Scrum zu arbeiten, nahm im Alter bei jenen Teilnehmenden wesentlich stärker zu, die sich jünger fühlten, als sie tatsächlich waren. Zusätzlich hat das Altersklima Auswirkungen auf die Bereitschaft, agil zu arbeiten – es hängt somit davon ab, ob ältere Beschäftigte in einer Organisation positiv oder negativ wahrgenommen werden. Organisationen sollten also versuchen, ihre Altersstereotype in agilen Transformationen zu hinterfragen und für ein positives Altersklima in der Belegschaft sorgen.
Ich hoffe, ich konnte euch mit dieser Kurzvorstellung unterschiedlicher Studienergebnisse etwas Argumentationsfutter mitgeben. Bei näherem Interesse lege ich euch ans Herz, mal in die originalen Studien hineinzulesen – und ergänzt gerne in den Kommentaren weitere wissenschaftliche Studien und Belege, die ihr kennt.
(1) Standish Group (2015). Chaos Report 2015. The Standish Group International Inc. – https://www.standishgroup.com/sample_research_files/CHAOSReport2015-Final.pdf
(2) Digital.ai (2020). 14th annual state of agile report. Digital.ai Software Inc. – https://stateofagile.com/#ufh-c-7027494-state-of-agile
(3) Komus, A., et al. (2017). Abschlussbericht: Status Quo Agile 2016/2017: 3. Studie über Erfolg und Anwendungsformen von agilen Methoden. Hochschule Koblenz University of Applied Sciences – www.hs-koblenz.de/fileadmin/media/fb_wirtschaftswissenschaften/
Forschung_Projekte/Forschungsprojekte/Status_Quo_Agile/Studie_2016/SQA-Abschlussbericht-de_V.1.02_-_Highlights.pdf
(4) Melnik G., & Maurer F. (2006). Comparative Analysis of Job Satisfaction in Agile and Non-agile Software Development Teams. In: Abrahamsson P., Marchesi M., Succi G. (eds) Extreme Programming and Agile Processes in Software Engineering. XP 2006. Lecture Notes in Computer Science, vol 4044. Springer, Berlin, Heidelberg – https://link.springer.com/chapter/10.1007/11774129_4
(5) Maurer, F. (2007). Job Satisfaction and Motivation in a Large Agile Team. Agile Processes in Software Engineering and Extreme Programming: 8th International Conference, XP, Como, Italy, June 18-22 – https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-540-73101-6_8
(6) Beecham, S., Baddo, N., Hall, T., Robinson, H., & Sharp, H. (2008). Motivation in Software Engineering: A Systematic Literature Review, Information and Software Technology, 50(9-10), 860-878 – https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0950584907001097
(7) Melo, C.O., Santana, C., & Kon, F. (2012). Developers motivation in agile teams. 2012 Conference Paper in Conference Proceedings of the EUROMICRO – https://ieeexplore.ieee.org/document/6328178
(8) McHugh, O., Conboy, K., & Lang, M. (2010). Motivating Agile Teams: A Case Study of Teams in Ireland and Sweden. International Research Workshop on IT Project Management 2010 – https://aisel.aisnet.org/irwitpm2010/8/
(9) Deci, E. L., Olafsen, A. H., & Ryan, R.M. (2017). Self-Determination Theory in Work Organizations: The State of a Science. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior 2017, 4(1), 19-43 – https://www.annualreviews.org/doi/abs/10.1146/annurev-orgpsych-032516-113108
(10) z. B.: Whitworth E., & Biddle R. (2007). Motivation and Cohesion in Agile Teams. In: Concas G., Damiani E., Scotto M., Succi G. (eds) Agile Processes in Software Engineering and Extreme Programming. XP 2007. Lecture Notes in Computer Science, vol 4536. Springer, Berlin, Heidelberg – https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-540-73101-6_9 oder Tessem, B., & Maurer, F. (2007). Job Satisfaction and Motivation in a Large Agile Team. Agile Processes in Software Engineering and Extreme Programming: 8th International Conference, XP, Como, Italy, June 18-22 – https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-540-73101-6_8
(11) Law, A., & Charron., R. (2005). Effects of agile practices on social factors. Proceedings of the 2005 workshop on Human and social factors of software engineering, 1-5 – https://dl.acm.org/doi/10.1145/1083106.1083115
(12) Pikkarainen, M., Haikara, J., Salo, O., et al. (2018). The impact of agile practices on communication in software development, Empirical Software Engineering, 13(3), 303-337 – https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10664-008-9065-9
(13) Tessem, B. (2014). Individual empowerment of agile and non-agile software developers in small teams. Information and Software Technology, 56(8), 873-889 – https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0950584914000470?via%3Dihub
(14) Laanti, M. (2013). Agile and Wellbeing - Stress, Empowerment, and Performance in Scrum and Kanban Teams. 46th Hawaii International Conference on System Sciences, Wailea, Maui, HI, 4761-4770 – https://ieeexplore.ieee.org/document/6480418
(15) Drazic, I., & Schermuly, C.C. (2021). Too Old for Agility? Employee Age and Readiness for Change Toward Scrum—The Moderating Roles of Age Climate and Subjective Age. Work, Aging and Retirement, 7(3), 174–196 – https://academic.oup.com/workar/advance-article/doi/10.1093/workar/waab005/6168338
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