Die Sache mit der Freiwilligkeit

Ich war diesen Sommer in London auf Urlaub. Und ja so wie es sich für das Londoner Wetter gehört, gab es auch im Sommer viel Regen. Nun gut, was tun im Regen? Am besten in eines der tollen Museen gehen. Die große Überraschung: Man kann die einige Stockwerke umfassenden Standard-Ausstellungen gratis besuchen! Am Ausgang ist es jedem selbst überlassen, ob er an das Museum Geld spenden möchte. Alle Mitarbeiter betonen immer wieder, dass man völlig freiwillig spenden kann und keinerlei Zwang herrscht.Für mich als Wienerin war das tatsächlich etwas ungewohnt. Drei Museen später leuchtete es mir aber immer mehr ein: Ich hatte in den letzten drei Museen viel mehr gespendet als den Richtwert, den die Museen vorgeschlagen hatten. Ich wusste nicht so richtig warum, aber ich genoss jede Ausstellung viel leichter und ungezwungener (ich hatte ja auch keine Unmengen für den Eintritt gezahlt). Beim Rausgehen spendete ich wegen der guten Erfahrung und der mir zugestandenen Freiwilligkeit also viel mehr.Das Thema der Freiwilligkeit taucht immer wieder in vielen Scrum-Teams auf. Soll es eine Anwesenheitspflicht geben für die Dailys, Sprint Plannings, Reviews und Retrospektiven? Viele sagen, es herrsche absolute Anwesenheitspflicht, jeder habe zu erscheinen, da sich das Team sonst nicht selbst organisieren könne. In vielen Teams werden Einladungen für alle Meetings versendet und es wird erwartet, dass man teilnimmt. Da ist von Freiwilligkeit keine Rede.Vor einigen Wochen habe ich einen Kollegen getroffen, der mir von einem Team erzählte, mit dem er anfangs als ScrumMaster Schwierigkeiten hatte. Das war für mich nichts Überraschendes, bis er erwähnte, er hätte den Teammitgliedern von Anfang an gesagt, sie müssten nicht in die Meetings kommen. Sie würden zu 100 % auf Freiwilligkeit beruhen. In der Runde herrschte Verwunderung: Wie sollten denn die Meetings funktionieren, wenn die Leute keine Lust hätten und dann auch noch alles auf ihrer Freiwilligkeit beruhte?Der Kollege meinte nur, dass innerhalb eines Sprints alle Teammitglieder zu den Dailys dazugestoßen seien. Sie wären pünktlich gewesen und hätten alle Scrum gemacht - bis auf einen. Dieses eine Teammitglied nahm auch nach zwei Sprints nicht an den Dailys teil, sah sich das Taskboard an und beendete seine Storys zeitgerecht. Er nahm aber nur an den Meetings teil, an denen er teilnehmen wollte. Im dritten Sprint nahm er am Daily teil, in dem er bisher nur zugesehen hatte. Im vierten Sprint schrieb er bereits eigene Tasks. Im fünften Sprint half er dem PO mit komplexeren Storys, die in seinem Fachgebiet lagen. Inzwischen sind fast sechs Monate vergangen, das komplette Team nimmt an allen Meetings teil und organisiert sich selbst ganz freiwillig.Man muss Menschen manchmal etwas mehr Vertrauen schenken, als man vermutlich möchte, aber es zahlt sich aus. Alle Museen in London können sich durch die freiwilligen Spenden ihrer Besucher erhalten.Jeder spendet so viel wie er kann oder will - und siehe da, es ist möglich.

Agile Prinzipien
Selbstorganisation
Team
bgloger-redakteur
October 10, 2014

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