Was haben Unternehmen, die sich selbst gehören, gemeinsam? Sie sind langfristig erfolgreicher und erzeugen einen positiven Beitrag für die Gesellschaft. Wie ich darauf komme, möchte ich hier erläutern.
Vor kurzem las ich von einer Studie, die vom deutschen Arbeitsministerium 2020 veröffentlicht wurde. Darin wird die Vermögensungleichheit unter deutschen Bürger:innen deutlich. Den reichsten 10 Prozent aller Bürger:innen gehören laut der Studie rund zwei Drittel des Vermögens. Weltweit klaffen diese Zahlen an manchen Orten noch deutlicher auseinander. Pandemien, Energie- und Klimakrisen verstärken diesen Effekt noch.
Das ist ein echtes Problem. Denn die Wirtschaft, wie wir sie heutzutage kennen und gewohnt sind, trägt erheblich zu dieser Ungleichheit bei. Die Profite werden nicht zwischen den Menschen aufgeteilt, die in der gesamten Wertschöpfungskette arbeiten, sondern fließen vor allem zu den Eigentümer:innen und Shareholdern zurück. Mein ehemaliger Kollege Sebastian Klein brachte das ganze Dilemma mit diesem Satz auf den Punkt:
„Eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit ist deshalb, wie wir künftig Wohlstand fairer verteilen und Eigentum neu denken können. Ein wichtiger Baustein dabei ist meines Erachtens das Konzept Verantwortungseigentum.“
Aber warum soll Verantwortungseigentum Unternehmen langfristig erfolgreich machen und was verändert sich durch diesen Ansatz für Kund:innen und Mitarbeitende?
Meine These:
Unternehmen bei denen die Kontrolle (z.B. in Form von Stimmrechten) bei den Menschen liegt, die in ihnen arbeiten, sind erfolgreicher am Markt und stellen sich in den Dienst der Gesellschaft.
Ein Beispiel aus der Praxis: "Ein Krankenhaus, das verkauft wurde."
Armin Steuernagel, Mitgründer der Purpose Gruppe und Stiftung Verantwortungseigentum, spricht in einem TEDx Talk von seinem Vater, der als Direktor in einem Krankenhaus arbeitete, das in der gesamten Stadt (NRW) für die hohe Qualität ihrer Pflege, durch Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen bekannt war.
Steuernagel war selbst oft zu Besuch und erinnert sich an eine warme Atmosphäre, an glückliche Mitarbeitende, zufriedene Patient:innen, um die sich gut gekümmert wurde und an Essen aus ökologischer Erzeugung und gesunde Profite.
Eigentlich gab es keine gravierenden Gründe für Veränderung gerade weil es wirtschaftlich stabil da stand, doch Investoren stiegen ein und das Unternehmen wurde daraufhin mehrmals hintereinander an börsendotierte Unternehmen verkauft. Diese bezahlten jedes Mal höhere Preise, wodurch der Druck auf das Krankenhaus stieg, Gewinne zu machen. Das investierte Geld sollte wieder reingeholt werden.
Sein Vater, so berichtet Steuernagel, wurde gezwungen immer deutlicher auf die Sparbremse zu drücken mit dem Ergebnis, dass die Küche an einen Anbieter mit geringerer Qualität verkauft wurde, die Hälfte der Ärzt:innen entlassen wurden und die Zeit begrenzt wurde, die sie bei den Patient:innen verbringen durften. Mit der Folge, dass die Frustration unter Mitarbeitenden und Patient:innen deutlich anstieg.
Der Grund für den Fokus der Investoren auf Shareholder Value Maximierung ist verständlich, so Steuernagel, denn der komme ihm zufolge vom Druck der Aktienmärkte, von anonymen Aktionären, Versicherungen und Rentenfonds (in die wir unser Geld einzahlen) und Supercomputern, die 99 % der Handelstransaktionen an den Aktienmärkten heute in Nanosekunden abwickeln und so Eigentum an Unternehmen erwerben.
„Jeden Tag werden hunderte von missionsgetriebenen Unternehmen von großen gewinnorientierten Konzernen gekauft. Und sie alle verlieren ihre fürsorglichen Verwalter. Sie verlieren ihre Eltern. Und sie enden mit ... womit? Mit abwesenden Eigentümer:innen, mit Spekulant:innen. Und dieses Auffressen kleiner Unternehmen durch große Konzerne schafft nicht nur Unternehmen ohne Eltern, in denen sich niemand wirklich verantwortlich fühlt. Es schafft auch eine zentralisierte Wirtschaft mit immer weniger Unternehmen.“ (Armin Steuernagel)
Verantwortungseigentum – keine neue Idee, aber revolutionär
Wer jetzt denkt, dass Verantwortungseigentum eine dieser neuen hippen Ideen aus der Berliner Start-Up Szene ist, der liegt falsch. Die Idee gab es bereits vor 130 Jahren. Eines der ältesten Unternehmen in Verantwortungseigentum ist Zeiss, ein weltweiter Marktführer für Mikroskope und Optik mit 70.000 Mitarbeitenden. Viele von uns nutzen täglich Produkte davon, z.B. in unseren Iphones oder Laptops. Ernst Abbe wurde als Gründer das gesamte Eigentum am Unternehmen überschrieben, nachdem sein Mitgründer Carl Zeiss gestorben war. Abbe kam zu folgender Erkenntnis:
“Habe ich all diesen Reichtum geschaffen? Ist das alles meine Arbeit? Nein ist es nicht. Das meiste haben meine Mitarbeiter gemacht. Sogar meine Erfindung des Mikroskops war nur durch viele Generationen von Wissenschaftlern und Forschern möglich. Das Gesetz gibt mir das absolute Recht über diese Firma. Das Gesetz gibt mir das Recht, mir alles zu nehmen. Aber ich finde, das ist nicht richtig. Es gehört nicht alles mir. Es gehört auch den Mitarbeitern und der Gesellschaft." (Ernst Abbe)
Da es keine passende oder hilfreiche Rechtsform gab, um Abbe’s Erkenntnis umzusetzen, wurde er erfinderisch, gründete eine Stiftung und übertrug das Eigentum der Firma an die Stiftung. Seitdem gehört die Firma Zeiss sich selbst und kein abwesender Investor kann diese kaufen.
Anstelle von Eigentümern gibt es verantwortliche Personen, die das Unternehmen treuhänderisch verwalten, ohne dass sie die Firma verkaufen oder selbst zu ihrem Eigentum machen können. Anstatt das Unternehmen an die Nachkommen zu übergeben, wie in Familienbetrieben üblich, wird es an sogenannte Werte- und Fähigkeitenverwandte auf Zeit übergeben. Gewinne werden entweder reinvestiert oder gespendet – im Falle der Fima Zeiss wurden mehrere Universitäten so finanziert und die gesamte Stadt Jena erhielt eine Art Upgrade. Und mit diesem Ansatz ist Zeiss nicht allein. Bosch, Rolex, Ecosia, Playmobil und viele weitere Unternehmen gehen diesen Weg.
Das machen Unternehmen mit Verantwortungseigentum anders:
1. Selbstbestimmungsregel:
Es wird sichergestellt, dass das Kontrollrecht des Unternehmens keine handelbare Ware ist. Das heißt, das Unternehmen ist kein „Ding“, (wie ein Smartphone), das man verkaufen und kaufen kann. Es ist dadurch auch keine Marionette anonymer Aktienmärkte, sondern viel mehr ein Wesen, das Verwalter hat, solange sie mit der Mission des Unternehmens verbunden sind.
2. Zweckregel:
Es wird sichergestellt, dass Gewinne als Mittel und nicht als Selbstzweck angesehen werden. Gewinne werden hauptsächlich reinvestiert oder gespendet. Unternehmen existieren, um Werte für uns als Gesellschaft zu schaffen, um Probleme in der Welt zu lösen, nicht um Geld zu verdienen.
Was verändert das für Kund:innen und Mitarbeitende?
Für Kund:innen und Mitarbeitende verändert es die Beziehung zum Unternehmen, wenn es in Verantwortungseigentum steht. Sie sind nicht mehr Instrumente, um den kurzfristigen Profit des Unternehmens zu steigern. Laut Mitgründer der Purpose Stiftung Achim Hensen bleiben Mitarbeitende im Durchschnitt länger in solchen Unternehmen als in klassisch profitorientierten Unternehmen. Er beruft sich dabei auf Zahlen aus Dänemark, wo aufgrund von rechtlichen Rahmenbedingungen rund 1000 Unternehmen in Verantwortungseigentum (Quelle Steen Thomsen: The Danish industrial foundations, 2017), u.a. Carlsberg, Novo Nordisk, Lundbeck. Unternehmen im Verantwortungseigentum sehr hoch ist (Quelle: Achim Hensen im Podcast Sinneswandel).
Und Unternehmen in Verantwortungseigentum leben länger: nach 40 Jahren Existenz haben sie eine sechsmal höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als andere Unternehmen. Mittel- und langfristig sind sie rentabler und wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass das Kundenvertrauen hoch ist, ihre Mitarbeitenden mehr verdienen, länger bleiben und motivierter sind – weil sie für einen Wertbeitrag für Menschen außerhalb der Organisation arbeiten.
„Verantwortungseigentum ist also tatsächlich besser für Unternehmen und besser für uns alle. Es ist das richtige Heilmittel gegen dieses Gift der Abwesenheit von Investor:innen. Diese Art der Unternehmensmodelle können einen neuen, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Kapitalismus darstellen.“ (Armin Steuernagel)
Mein Fazit:
Wie wir Eigentum von Unternehmen denken und handhaben hat eine gewaltige Wirkung. Für das Unternehmen selbst und die Menschen darin. Denn es entsteht ein hohes Verantwortungsgefühl - auch für das Umfeld und die Kund:innen. Denn der ursprüngliche Fokus geht nicht verloren: Es werden echte Lösungen und Mehrwert für Menschen außerhalb der Organisation schaffen.
Bildquelle: Markus Spiske on Unsplash