Mit Engagement und Herzblut haben wir das OKR-Framework bei uns eingeführt. Heute übergibt Ssonja Peter den Staffelstab an Elisabeth Petracs. Wir schreiben über unsere eigene Reise mit Objectives und Key Results und wer und was uns dabei geholfen hat.
Jede Organisation braucht sie immer: eine gemeinsame Vision und Ziele. Wenn mit zunehmender Agilisierung die Teamautonomie steigt, ist das Verständigen auf eine gemeinsame Zielsetzung besonders wichtig, um die Teamziele auf eine abgestimmte Unternehmensstrategie auszurichten und diese auch umzusetzen.
Wenn das nicht der Fall ist, dann muss nach dem Prinzip Hoffnung geführt werden, oder es gibt Führung per Ansage oder es gibt gar keine Führung. Das hat bereits Henrik Kniberg erkannt und in einer Grafik festgehalten.
In der Matrix von Kniberg streben wir den Quadranten rechts oben an: Eine Führungskraft gibt das Ziel vor, die Mitarbeiter:innen entscheiden, wie sie es am besten erreichen werden.
Wir bei borisgloger haben uns vor vier Jahren für das partizipative Zielmanagementsystem nach Objectives und Key Results (OKR) entschieden. Die Geschichte unserer OKR-Reise ist eine über Menschen, die sich mit dem Thema „Ziele und Prozessausrichtung“ auseinandersetzten, Verantwortung übernahmen und so ein Zielsystem einführten und ständig verbesserten. Diese Menschen kamen aus unterschiedlichen Positionen. Sie waren im Führungskreis oder als OKR-Champions und ScrumMaster in unseren Teams.
Diese Menschen brauchten viel Herzblut, eine hohe Frustrationstoleranz und die Offenheit, zuzulassen und einzusehen, dass im Vorhinein nicht klar ist, wie lange es dauert, bis ein Unternehmen mittelfristige Ziele (mid-term-goals = Moals) erfolgreich über Jahresziele herunterdeklinieren und dann endlich die Früchte ernten kann.
Wir sind ein agiles Unternehmen und haben das Ausprobieren, Machen und daraus Lernen in unserer DNA ebenso wie die Maxime: Alles was wir unseren Kunden empfehlen, leben wir bei uns selbst vor („Practice what you preach“). Wir wollten also für uns und für sie ein Zielmanagementsystem finden, das für agile Organisationen nicht nur brauchbar, sondern vor allem förderlich ist.
Unsere Anforderungen an das partizipative Zielmanagement waren:
Zunächst haben wir selbst eine Beratungsgesellschaft engagiert, die uns zeigen sollte, wie das geht. Vielleicht waren wir beratungsresistent, vielleicht lag es auch an der Beratung: Das hat uns nicht weitergebracht. Unsere Reaktion: Der Führungskreis hat die Einführung selbst übernommen und alles, was denkbar war, in OKRs gepackt.
Ein Beispiel: Um schnell zu wachsen und trotzdem Qualität sicherzustellen, lautete ein Objective: „Neueinstellungen erfolgen ausschließlich zusammen mit unserer HR.“ Vorprogrammiert war damit ein Engpass und viel schlimmer: Es fühlte sich für unsere Teams so an, als ob top-down alles vorgegeben und reglementiert würde. Auch unsere HR wollte das nicht.
Der erste Versuch, das Wachstum über OKRs top-down zu steuern, traf auf Widerstand in den Teams. Unser – damals erster – OKR-Champion regte sich so darüber auf, dass das doch wohl besser gehen kann, dass er sofort das Mandat bekam. So geht das bei uns: Du regst dich auf? Dann mach es besser! Arved Weidemüller zog sich diese Verantwortung und inszenierte direkt eine Gegenbewegung:
Arved hatte es geschafft, dass im folgenden OKR-Zyklus die Teams ihre Ziele nun autonom bottom-up bestimmten. Auf Unternehmensebene wurden nunmehr keine OKRs definiert, lediglich Moals, d. h. weit gefasste Jahresziele, dienten als Orientierung.
Die erste Erkenntnis: Die Teams taten sich schwer, auf die Moals einzuzahlen, denn sie sahen wenig Überschneidung zwischen ihrem Tagesgeschäft und den damaligen strategischen Zielen der Company. Das erhoffte Alignment zwischen Team- und Company-Zielen wurde auch in diesem Versuch noch nicht erreicht.
Zu dem Frust der Teams kam der Frust des Führungskreises: Die Ziele der Teams zahlten nicht deutlich genug auf die Ziele des Unternehmens als ganzes ein.
Die zweite Erkenntnis: Die Erwartung des Führungskreises, dass Teams mit der Einführung eines partizipativen Zielmanagementsystems sofort strategisch denken, erfüllte sich nicht. Kein Team bekam das hin!
Die dritte Erkenntnis: Die Teams hatten zu diesem Zeitpunkt keinen klaren inhaltlichen Fokus, also keine klare Ausrichtung auf z. B. eine Branche. Dadurch fehlte die Anknüpfungsmöglichkeit auf entsprechende Branchenziele auf Unternehmensebene.
Die ScrumMaster der Teams (also die lateralen Führungskräfte für Menschen und Prozesse) regten sich darüber auf, dass die Arbeit mit OKRs innerhalb der Organisation zu wenig akzeptiert und zu wenig strukturiert war. Also haben sie Mitverantwortung für die Gestaltung des OKR-Prozesses übernommen.
Nun wurde die OKR-Thematik von zwei Seiten angetrieben: vom OKR-Champion mit strategischem, inhaltlichem Blick und von den ScrumMastern der Teams mit dem Auftrag, den Prozess voranzutreiben.
Die vierte Erkenntnis: Die OKRs haben dazu geführt (insbesondere das anfängliche Scheitern), dass wir uns mehr mit den Themen Fokus und Ziele auf allen Ebenen (persönlicher, Team- und Unternehmensebene) auseinandersetzten.
Der OKR-Prozess war nun Teamverantwortung und dadurch stabiler. Gleichzeitig wurde der Ruf nach Tools und standardisierten Prozessen lauter. Also haben wir ein Tool eingeführt und aufwendig Prozessbeschreibungen dokumentiert. Der Effekt: Die OKR-Planung wurde ein Verwaltungsakt mit immer weniger Emotionen und weniger teamübergreifender Kommunikation. Der Fokus auf das Wesentliche ging verloren: Was wollen und können wir gemeinsam erreichen?
Da hat Ssonja sich aufgeregt. Der OKR-Prozess wurde immer mehr zum Bühnenkino: Jedes Team für sich genommen war erfolgreich und auf dem Papier (im Tool) passte alles zu den Unternehmenszielen. Aber wenn Ssonja mit Einzelnen sprach, war klar: Eine wirkliche gemeinsame Ausrichtung der Teams auf die Unternehmensziele fehlte. Also hat sie die Rolle des OKR-Champion übernommen.
Der zunehmende Reifegrad der Teams, was den OKR-Prozess, also das Dranbleiben an den Zielen und auch die Lieferfähigkeit der Teams ganz im Allgemeinen betrifft, ermöglichte die nächste Evolutionsstufe: dass sich die Teams gegenseitig zuhören und auf die gemeinsamen Unternehmensziele ausrichten. Dazu haben wir im letzten Jahr einen radikalen Schritt gemacht: Wir verwenden kein spezielles Tool mehr, sondern Miro, mit dem wir täglich arbeiten, und legen Fokus aufs Zuhören und das gemeinsame Ausrichten der Ziele.
Was für den OKR-Champion zu tun bleibt:
Die fünfte Erkenntnis: Wir lagen oft daneben – beim Zeithorizont, der Art der Einführung, der Erwartung an die Teams, dem Prozess des Schreibens von Objectives und Key Results und der Verständigung der Teams untereinander – und das wird uns wieder passieren. Das gehört zum Experimentieren dazu. Der Zieleprozess ist ein agiler Prozess – also einer, den wir immer und immer wieder weiterentwickeln werden. Und da geht halt auch hin und wieder etwas schief. Wichtig ist es, daraus zu lernen.
Wir haben uns weiterentwickelt, weil immer wieder andere Menschen die Verantwortung angenommen haben, den Prozess anzutreiben und zu verbessern – weil immer jemand daran geglaubt hat, dass OKRs uns beim gesunden Wachstum helfen können. Und weil diese Menschen die Freiheit hatten, es einfach auszuprobieren.
Mittlerweile wählen wir unseren OKR-Champion soziokratisch für ein Jahr: Unser OKR-Champion für 2022 ist nun Elisabeth. Sie ist von Vertreter:innen aus allen Teams dafür gewählt worden. Sie genießt also das Vertrauen, unsere Top-down-Ziele mit unseren Bottom-up-Zielen in Einklang zu bringen.
„Elisabeth, ich freue mich sehr, dass ich den Staffelstab übergeben darf!“
Ssonja Peter
Weil wir konnten und durften und weil Experimentieren Teil unseres Mantras „Practice what you preach“ ist. Das sechste Erkenntnispaket lautet:
Wer trägt in Ihrer Organisation den Staffelstab, liebe Leser:innen? Haben Sie schon jemanden, der sich in Ihrem Haus um den Zieleprozess kümmert? Wird dieser bei Ihnen gemanagt und über alle Teams hinweg in Einklang gebracht? Sprechen Sie uns gerne an, wir sind Expert:innen für agile Strategieentwicklung und agiles Zielemanagement. Wir begleiten Unternehmen dabei, die oder den Verantwortlichen im eigenen Haus zu befähigen und den Zieleprozess gemeinsam aufzusetzen. Selbst wenn schon ein agiles Zielesystem im Einsatz ist, können OKRs eine gute Ergänzung für eine bessere gemeinsame Ausrichtung sein.
Historisch gesehen ist das OKR-Konzept eine Weiterentwicklung des sogenannten Management-by-Objectives-Systems. Als Urheber gilt Andy Grove, der das Konzept bei Intel implementiert hat. Später wurde es durch die Einführung bei Google durch John Doerr bekannt. Seinen Ted-Talk finden Sie hier.
Management-by-objectives
Objectives & Key Results
Objectives beschreiben, WAS wir erreichen wollen, werden direkt von der Unternehmensstrategie abgeleitet und für den Zeitraum von ca. 3-4 Monaten formuliert. Company Objectives sollten auf jedem Fall mit Führungskräftebeteiligung definiert werden.
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Key Results beschreiben, WIE wir Wert messen wollen. Die Formulierung der Key Results erfolgt durch die Teams.
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Hier kommt ein einfaches Beispiel für ein persönliches Objective mit Key Results, um es noch greifbarer zu machen:
Objective: Ich will für meinen Hochzeitstag (in 3 Monaten) wieder in meine alte Jeans hineinpassen, um meine Partnerin zu beeindrucken.
Key Results:
Diese Key Results erhöhen die Wahrscheinlichkeit für die Ziele-Erreichung (sind aber keine Garantie). Im Gegensatz dazu wäre „5 kg abnehmen“ nur im Nachhinein messbar und nicht aktiv beeinflussbar.
Titelbild: Steven Lelham, Unsplash