Mit dem Trend zur „Agilität“ hat ein neuer Begriff Einzug in deutsche Unternehmen gehalten: jener des „Servant Leader“. Ein Begriff, der ursprünglich von Robert K. Greenleaf, dem Gründer des Greenleaf Center for Servant Leadership, geprägt wurde. Was hat es damit auf sich? Was ist ein Servant Leader? Was macht ihn dazu? Eines scheint aus der Literatur schnell klar zu werden: Vieles von dem, was wir einmal über Führung, Zucht und Ordnung gelernt haben, scheint dadurch ganz und gar in Frage gestellt. Schauen wir auf die deutsche Bedeutung der Worte: „Servant“ steht für „dienend“. „Leader“ steht für „Führer“. Ein dienender Führer? Wie geht das zusammen? Ganz einfach. Servant Leader kann man nur sein, man wird es nicht durch eine Beförderung.
Der Servant Leader handelt nicht so, wie er es eben tut, weil er dafür Anerkennung, Geld oder Status erlangen möchte. Er tut es um des Tuns Willen. Er streift diese Eigenschaft nicht morgens um 09:00 Uhr im Büro über und legt sie abends wieder ab, bevor er nachhause geht. Er verhält sich beruflich wie privat völlig natürlich. Der Servant Leader würde sein Verhalten selbst auch nicht als Führung bezeichnen. Er führt ohne durch Position oder Titel verliehene Macht - so etwas gibt ihm nicht viel. Das Bedürfnis, seinen Mitmenschen zu dienen und etwas Sinnvolles zu tun, liegt ihm im Blut. So zu sein ist für ihn keine Anstrengung oder ein Akt der Selbstverleugnung. Betrachten wir nun das Wort „dienen“ in seiner eigentlichen Bedeutung laut Duden, dann geht es darum, sich freiwillig seinen Mitmenschen oder einer Sache unterzuordnen. Ganz im Stile eines Gastgebers: Er sorgt für seine Gäste, ordnet sich ihnen freiwillig unter, bestimmt gleichzeitig aber auch den Rahmen und die Regeln. Denn es ist ja seine Veranstaltung. Haben Sie die Kollegen schon einmal als Ihre Gäste gesehen? Sollten sich gerade Gegenargumente in Ihr Bewusstsein drängen, bedenken Sie eines: Sie sind die Führungskraft. Es ist Ihre Aufgabe, den ersten Schritt zu gehen. Sie sind das - positive oder negative - Vorbild, ob Sie wollen oder nicht. Sie haben keine Wahl. Aber Sie haben die Wahl, welches Vorbild Sie sein wollen. Es wird Ihnen schon kein Zacken aus der schwer erarbeiteten Krone brechen - es ist einen Versuch wert.
Was dann geschieht, ist nämlich hochinteressant: Sorgt ein Servant Leader für seine Mitmenschen und schafft Vertrauen, so entsteht Sicherheit. In unserer nach wie vor von den Spätfolgen der Weltkriege und aktuellen Konflikte geprägten westlichen Welt ist Sicherheit ein starkes Grundbedürfnis. Wer es schafft, Sicherheit herzustellen, findet eine Anhängerschaft. Im Kontext der Arbeitswelt folgen die Mitarbeiter dem Servant Leader also, weil sie es wollen, nicht weil sie es müssen. Er tut alles für sie, sie tun alles für ihn. Mitarbeiter werden Fans ihres Unternehmens. Einer der deutschen Rudermeister von 1984 sagte mal zu mir: „Wir holten den Titel für unseren Trainer, wir wären für ihn bis zur Bewusstlosigkeit gefahren.“ Als ich ihn fragte warum, antwortete er: „Weil der Trainer alles für uns getan hat."Vielleicht haben Sie den Film „Patch Adams“ gesehen. Er basiert auf der Lebensgeschichte des amerikanischen Arztes Dr. Patch Adams, der als begeisterter Querdenker seine Ausbildung aufs Spiel setzte. Er versuchte, mit Hilfe von Clowns ein Lachen in die Krankenzimmer amerikanischer Spitäler zu bringen - er war davon überzeugt, dass Humor die Heilung unterstützt. Er war bereit, sich seiner Idee völlig unterzuordnen, auch wenn er zunächst von der klassischen Schulmedizin dafür angefeindet wurde. Aus dieser Haltung heraus und ohne jede bewusst gewählte Anstrengung scharte er eine große Anhängerschaft um sich und darf heute das „Gesundheit! Institute“ sein Lebenswerk nennen. Patch Adams und seine Mitarbeiter versuchen Spitäler zu schaffen, in denen wieder das Wohl des Menschen - sowohl als Patient als auch als medizinischer Mitarbeiter - über allen geschäftlichen Interessen steht. Das inkludiert die kostenlose Behandlung mittelloser Menschen.
Patch Adams ist also jemand, der in erster Linie wohltätig handelt. Doch unsere Geschäftswelt besteht nicht aus Wohltätigkeit. Muss das so sein? Die gesellschaftliche Entwicklung bietet uns eine große Chance: Viele Menschen von heute, die in großem Wohlstand aufgewachsen sind, suchen nach wirklichem Sinn in ihrem Leben. Und das tun sie natürlich auch in der Arbeit, die nun mal einen großen Teil der Lebenszeit beansprucht. Menschen, die nach Sinn streben, möchten eine ebenso sinn-hafte und sinn-volle Führung durch eine von ihnen selbst erwählte Person erleben und eher einer Vision folgen, als die Befehle eines lediglich durch Hierarchiestufen legitimierten „Vor die Nase Gesetzten“ abzuarbeiten. Mittlerweile werden übrigens in immer mehr Unternehmen die Führungskräfte tatsächlich gewählt. Ganz demokratisch, so wie in der Schule die Klassensprecher gewählt werden.Der Servant Leader ist - noch - eine idealisierte Figur. Vielleicht ist er das aber nur, weil wir ihn noch so selten antreffen? Abschließend möchte ich Ihnen zwei Fragen stellen.
Wenn ich diese Frage in ein paar Jahren den Menschen in Ihrem Unternehmen stelle: Wäre es nicht toll, wenn sich die Menschen an Ihren Namen erinnern? Sollten Sie jetzt auch nur den Hauch eines wohligen Gefühls wahrnehmen, sind Sie den ersten Schritt schon gegangen.