Scrum in der Hardware - oder agile Produktentwicklung - wird immer selbstverständlicher. So haben kürzlich Unternehmen wie Siemens oder AVL List am 51. Innovationspool der Plattform für Innovationsmanagement in Sattledt (Oberösterreich) von ihren Anstrengungen erzählt, Scrum in der Entwicklung von mechatronischen Produkten zu nutzen. Neben Vortragenden der Johannes Kepler Universität Linz durfte auch ich gemeinsam mit Thomas Ringer, Projektmanager bei Fronius International, das Forum nutzen, um über die Fortschritte und Besonderheiten der Implementierung in einem wichtigen Projekt des bekannten Maschinenbauunternehmens zu berichten.Mit der Einführung der agilen Produktentwicklung verfolgte Fronius drei Ziele:
Schon zu Beginn der Einführung war dem Management klar, dass die Individualität des Unternehmens und der Menschen bei Fronius eine essentielle Rahmenbedingung ist: Die Teammitglieder sind Mittelpunkt des Prozesses. Aus diesem Grund sollte der Umstieg auch nicht schlagartig, sondern kontinuierlich und gemeinsam mit dem Team erfolgen. Den Inspect & Adapt-Gedanken formulierte Fronius so: „Wir setzen um, was uns weiterbringt. Was uns nicht hilft, wird solange geändert, bis es uns hilft.“So konnte durch die Einführung von Dailies als kurze, periodische Abstimmungsmeetings und die Beschränkung der Arbeitspaketgröße („Task“) auf maximal drei Arbeitstage schnelleres Feedback realisiert werden. Die Teammitglieder werden angehalten, nur jeweils ein aktives Arbeitspaket zu bearbeiten, das durch eine eindeutige und gemeinsam definierte Definition of Done fokussierter geliefert werden kann. Außerdem bestimmt jetzt das interdisziplinäre, agile Team selbst, wer ein Arbeitspaket bearbeitet. Auch die zuvor variable Sprintdauer wurde auf zwei Wochen fixiert.Besonders interessant war der Ansatz, die vielfach subjektiven Kriterien einer agilen Transition in den Teams objektiv zu bewerten. Dazu nutzte Thomas Ringer eine abgewandelte Valenz-Instrumentalität-Erwartung-Umfrage nach der Expectancy Theory of Motivation von Vroom. Dabei wird regelmäßig gefragt, wie erstrebenswert das Projektziel ist, ob ausreichend Ressourcen verfügbar sind, um das Projektziel zu erreichen und wie zuversichtlich die Projektmitglieder sind, dass das Ziel überhaupt erreichbar ist. Im Laufe der Zeit ergibt sich eine zuverlässige Datenbasis, die einen Rückschluss auf die Wirksamkeit des agilen Handlungsrahmens zulässt. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Pilotteam will das mittelständische Unternehmen nun weitere R&D-Teams auf den agilen Handlungsrahmen umstellen und die agilen Teams in der Organisation zunehmend stärken.
Auch bei AVL List in Graz, einem Unternehmen, das sich auf die Entwicklung von Antriebssystemen, Simulation und Prüftechnik spezialisiert hat, hat man laut Robert Korošec, der als Global Manager für Software Program Management und Test Center verantwortlich ist, erkannt, dass Geschäftsmodelle auf Basis von Internet of Things und Services ganze Branchen transformieren. Fahrzeuge werden immer mehr zu „Cyber Physical Systems“. Die damit verbundenen Geschäftsmodelle erfordern immer mehr Agilität, daher war für den Automobilzulieferer der Schritt von agiler Softwareentwicklung zu agiler Produktentwicklung naheliegend.Korošecs Erfahrung zeigt, dass die intrinsische Motivation der zahlreichen Wissensarbeiter durch Scrum als Management-Framework gefördert wird. Er betonte weiters die Vorteile regelmäßiger, gemeinsamer Release Planning Meetings mit allen Projektmitarbeitern und hob hervor, wie wichtig crossfunktionale Teams und die Änderung der Test- und Releasestrategie bei AVL List war: So werden so viele Tests wie möglich automatisiert, um schnelle Regressionen zu ermöglichen oder Systemintegration als Teil jeder Integration gesehen, um Schnittstellen frühzeitig abzusichern.Am Ende seines Vortrags berichtete Korošec von den positiven Veränderungen, die mit der Einführung von Scrum einhergehen:
Burkhard Tolks, Senior Consultant von Siemens Corporate Technology in Erlangen, erklärte, wie durch die Verkleinerung der Batchgrößen in der Entwicklung die Entwicklungszeiten neuer Frequenzumrichter auf ein Drittel reduziert werden konnten. Seine Beobachtung zeigt, dass Teams in der Hardwareentwicklung größer sind als in reinen Softwareentwicklungsprojekten. So zählte er 13 Funktionen in einem typischen Hardwareentwicklungsprojekt des deutschen Industriegiganten auf:
Auch er betonte, wie wichtig interdisziplinäre, stabile und zusammensitzende Teams mit ausreichend Entscheidungsspielraum sind. Abschließend empfahl er den Aufbau von Coaching-Kompetenzen und eine anfängliche Unterstützung durch erfahrene Coaches, um die häufig zu Beginn eintretenden Schwierigkeiten professionell managen zu können.
Das Thema agile Produktentwicklung trifft auf großes Interesse und beschäftigt zurzeit auch immer mehr Unternehmen in Österreich. Die Veranstaltung war außergewöhnlich gut besucht: Statt der sonst üblichen 40-60 Teilnehmer wurden diesmal gut 100 Besucher gezählt. Einige haben Scrum in der Software bereits ausprobiert und sehr gute Erfahrungen gemacht. Diese Erfolge wollen diese Unternehmen nun auf andere Bereiche übertragen. Dass Scrum mehr ist als eine Projektmanagementmethode und als Management-Framework die Zusammenarbeit im ganzen Unternehmen verbessern kann, spricht sich langsam herum. Die Fragen der Teilnehmer zeigten aber auch, dass es noch viel Unsicherheit und offene Punkte gibt, die Unternehmen daran hindern, den nächsten Schritt zu gehen. Oft können sie sich nicht vorstellen, wie inkrementelles, iteratives Entwickeln von Hardware in ihrem ganz speziellen Umfeld funktionieren könnte. Dabei geht es im Wesentlichen darum, einige wenige Prinzipien zu beachten, wenn man mit agiler Produktentwicklung starten möchte:
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(c) Weinfranz/Plattform für Innovationsmanagement[/caption]Diese Prinzipien können unabhängig vom Produkt, das entwickelt wird, umgesetzt werden. Natürlich gibt es noch ein paar andere Themen, die Scrum in der Hardware weiter unterstützen. So muss etwa die Architektur beispielsweise durch Modularität schnelle Änderungen möglich machen. Da sich nach Conways Gesetz der Aufbau eines Unternehmens im Aufbau des Produkts widerspiegelt, kann auch eine Veränderung der Organisation hilfreich sein, um die Vorteile von Scrum zu erhöhen. Eines ist jedoch wichtig: Es gibt nicht „den einen Weg“, der für jedes Unternehmen gleich ist und Erfolg garantiert. Das zeigt auch das Beispiel von Fronius. Jedes Unternehmen muss seinen Weg finden, der optimal zu seinen Anforderungen und ständig wechselnden Rahmenbedingungen passt.Eine Aussage zog sich durch alle Vorträge: Der beste Weg, um agile Produktentwicklung einzuführen, ist Scrum selbst. Kleine - inkrementelle - Veränderungen sind für das jeweilige Unternehmen besser verdaulich und führen schneller zum Ziel. Unsere Erfahrung aus zahlreichen Hardware- und Produktentwicklungsprojekte bei borisgloger consulting zeigt, dass da am besten mit einem Pilotteam funktioniert, das Schritt für Schritt die Veränderungen erleben und für sich anpassen kann. Aus diesen Erfahrungen kann man für das Gesamtunternehmen lernen, den weiteren Rollout optimal steuern und das Risiko frühzeitig minimieren. Weitere Ressourcen zu diesem Thema finden Sie in einem unserer speziellen Trainings zu Scrum in der Hardware/agiler Produktentwicklung. Es gibt also keinen Grund, noch länger zu warten.Tipp: Zu Scrum in der Hardware haben wir tolles Training.