Mit dem Entwicklungsbacklog als ScrumMaster durchstarten

Haben Sie sich in letzter Zeit einmal Stellenanzeigen für ScrumMaster durchgelesen? Darin werden zunächst ganz klassische Aufgaben angeführt, die viele mit der Rolle verbinden: Meetings moderieren, das Team produktiver machen und Impediments lösen. Am besten sollte man als ScrumMaster dann aber auch fundierte Kenntnisse in der Psychologie und im Change-Management vorweisen können, Business-Zusammenhänge verstehen, alle Skalierungsframeworks beherrschen und auch die berühmte „Domain Knowledge“ mitbringen, also ein umfassendes Wissen darüber, was das Team liefert. Nicht zu vergessen: Software Development Skills wären auch wünschenswert. Ganz schön viel.

Wenn Sie sich gerade erst der ScrumMaster-Rolle annähern, geht es Ihnen wahrscheinlich wie vielen anderen: Sie stehen vor einer Menge Fragen. Was beinhaltet die Rolle ScrumMaster tatsächlich und welche Kenntnisse sollte ich mitbringen? Wie kann ich das alles leisten? Wie soll ich genügend Wissen, Erfahrung, Skills aufbauen, um diese Anforderungen zu erfüllen? Muss ich als ScrumMaster ein:e Superheld:in sein?

Der ScrumMaster ist auch nur ein Mensch

Das Wichtigste vorweg: Ein ScrumMaster kann in der Regel auch nicht zaubern, sondern muss seine Rolle nach und nach auf- und ausbauen.

In unseren Trainings lehren wir, dass ein ScrumMaster sechs Verantwortlichkeiten hat:

  • Leader ➝ das Team als laterale Führungskraft führen
  • Team Coach ➝ das Team erfolgreich machen
  • Trainer:in ➝ das Team durch den Aufbau von Know-how dazu befähigen, seinen Job zu tun
  • Facilitator ➝ gelungene Kommunikationsprozesse strukturieren (z. B. durch die Moderation von Meetings)
  • Manager:in ➝ Reflexive Prozesse etablieren und leben
  • Change Agent ➝ die Organisation verändern

Beim Rollencoaching fällt mir dabei immer wieder auf, dass gerade angehende ScrumMaster oft den Anspruch haben, sofort alle Aufgaben optimal zu meistern – und Gefahr laufen, dass sich schnell ein Gefühl des Versagens breit macht, wenn das in der Realität nicht auf Anhieb funktioniert. Auch in mir löste diese Liste anfangs Respekt, wenn nicht sogar ein bisschen Angst aus: Lasse ich mein Team im Stich, wenn ich nicht alles von Beginn an erfülle? Kann ich meinem Auftrag dann nicht gerecht werden?

Letztlich ist diese Überforderung aber nichts anderes als ein altbekanntes Problem, mit dem viele Teams täglich konfrontiert sind: Anforderungsstau – also zu viele Dinge, die gleichzeitig geliefert werden sollen und dadurch letztlich die „Liefer-Autobahn“ verstopfen. Der Anforderungsstau beim ScrumMaster sieht so aus: Er oder sie soll am besten sofort alles liefern, alle Aspekte abdecken und unfassbar viel Wissen sowie Erfahrung aus den unterschiedlichsten Bereichen mitbringen – und kann am Ende keine dieser Erwartungen zur Zufriedenheit erfüllen.

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Wie löst man diesen Anforderungsstau?

Richtig, der ScrumMaster hilft sich mit Scrum! Durch iteratives, inkrementelles Vorgehen und eine klare Priorisierung nach dem Nutzen für meine User (also das Team oder System, das ich erfolgreich machen möchte) widme ich mich Schritt für Schritt meinem persönlichen Entwicklungsbacklog: Darin finden sich Skills, die ich aufbauen, Wissen, das ich mir aneignen möchte, und Erfahrungen, die ich sammeln will. Ich bin auch mein eigener ScrumMaster.

Das Entwicklungsbacklog

Anstatt von heute auf morgen alles können zu wollen (und mich am Ende zu verlaufen bzw. im schlimmsten Fall gar nichts zu liefern), nehme ich mir ein Thema vor, definiere, was ich erlernen möchte und wie ich testen kann, ob mir das gelungen ist. Idealerweise probiere ich das Gelernte gleich aus und kann so direktes Feedback von meinen Kolleg:innen einholen. Zum Beispiel kann ich eine neue Moderationstechnik in einem Meeting verproben und am Ende fragen, als wie hilfreich meine Moderation wahrgenommen wurde.

Wie ich lerne und wie ich umsetze, was ich mir vorgenommen habe, ist dabei nicht so wichtig. Manche schwören auf Bücher oder Blogs, andere auf Videos. Wieder andere hören einen Podcast oder führen ein gutes Gespräch mit Kolleg:innen. Die Hauptsache ist, dass ich das Neugelernte ausprobieren kann und daran wachse.

Fahren auf Sicht

Um zu liefern, also mein neues Wissen gewinnbringend/produktivitätssteigernd einzusetzen, muss ich nicht sofort Expert:in sein. Den Return on Invest eines zweiwöchigen Trainings beispielsweise kann ich erst dann richtig beurteilen, wenn ich das Gelernte auch in meinem Kontext ausprobiert habe und dabei weiterlerne.

Je nachdem, wer ich bin und was ich mitbringe, fällt mir als ScrumMaster ein bestimmter Verantwortungsbereich vielleicht leichter als andere. Das ist absolut okay. Denn die Sicherheit, die ich dort ausstrahlen kann, hilft mir auch dabei, in den anderen Rollenfacetten effektiv zu sein und mich in für mich schwierigeren Feldern weiterzuentwickeln.

Führung anders verstehen

Da der ScrumMaster eine wichtige Rolle und laterale Führungskraft des Scrum-Teams ist, entsteht häufig der Trugschluss, er oder sie müsse das Team eigenhändig zum Erfolg führen. Letztlich verbirgt sich hinter dieser Fehleinschätzung jedoch ein problematisches Führungsverständnis: Ein System, das derart auf eine einzige Person ausgerichtet ist, ist nicht resilient. Fällt diese eine Person aus, fällt das Kartenhaus sofort in sich zusammen und das Team kann nicht mehr liefern.

Ja, ein ScrumMaster ist für die Produktivität des Teams verantwortlich. Und dieser Verantwortung sollte ich mir bewusst sein, wenn ich diese Rolle ausübe. Aber ich kann das System nur Stück für Stück verändern, es dazu befähigen, über sich hinauszuwachsen. Dabei darf ich mir selbst zugestehen, mit meinen Aufgaben zu wachsen. Wichtig ist, dass ich den Willen mitbringe, mich zu verbessern, aus Fehlern zu lernen und Verantwortung zu übernehmen – für mich selbst und mein Team. Das ist die wahre Superkraft eines guten ScrumMasters und hat eher mit einer inneren Haltung zu tun als mit der Anzahl von gelesenen Büchern.

Was können Sie tun?

Sind Sie als ScrumMaster tätig oder wollen diese Rolle zukünftig übernehmen? Dann überlegen Sie sich anhand der oben genannten sechs Verantwortungsbereiche, was Ihnen leichtfällt und was Sie als Ihr größtes Lernfeld sehen. Zögern Sie nicht, sich hierfür eine Einschätzung von Freund:innen oder Kolleg:innen einzuholen. Vergleichen Sie Ihre Entwicklungspotentiale dann mit den aktuell größten Problemen und Lernfeldern Ihres Teams. Sie werden sehen: Dabei entsteht schnell ein Überblick, welche nächsten Schritte Sie angehen können. Nehmen Sie sich den aus Ihrer Sicht wichtigsten für mindestens eine Woche vor, fixieren Sie ihn schriftlich und reflektieren Sie Ihren Fortschritt. So können Sie Schritt für Schritt mit Ihrem Entwicklungsbacklog in die Rolle wachsen.

Viel Erfolg!

Titelbild: Sean Benesh, Unsplash

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Yvonne Scholliers
May 16, 2022

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