Wenn wir als ScrumMaster und Agile Coaches bei borisgloger in ein neues Projekt starten, ist unsere Idealvorstellung die grüne Wiese: das Team von der Wurzel an aufzubauen und ein gemeinsames Arbeitsmodell von Beginn an zu etablieren. Denn es ist einfacher, von vorne anzufangen, also neue Strukturen und Denkweisen einzuführen, als zu versuchen, alte Strukturen zu verändern und langbewährte Denkweisen zu hinterfragen. Aber in der Realität stellen wir fest, dass jedes Teammitglied unterschiedlichste Erfahrungen, Kenntnisse und Vorstellungen mitbringt und dazu in eine Organisationsumgebung eingebunden ist, die weitere Herausforderungen parat hält.
Häufig arbeitet das Team bereits seit einiger Zeit in seinem Projekt nach Scrum oder ähnlichen agilen Methoden. Die Teammitglieder haben sich also bereits in das Abenteuer gestürzt und wünschen sich von uns keine neuen Strukturen, sondern Unterstützung und einen Rahmen, um Agilität leben zu können. Grundsätzlich halten wir es so: „Team building first, decision making second.“ Die Teammitglieder sollten zunächst einander und den neuen ScrumMaster näher kennenlernen, um Vertrauen aufzubauen und Raum für ein Miteinander zu schaffen, in dem Fragen und Anregungen erlaubt sind.
Eine der größten Herausforderungen ist, eine gemeinsame Basis für alle – mehr und weniger erfahrenen – Teammitglieder zu schaffen, sodass sie mit dem gleichen Wissen und mit Transparenz über ihre verschiedenen Vorstellungen von Agilität starten. Ein Agile Intro Training eignet sich gut, um allen Teammitgliedern die agilen Grundlagen und das neue Arbeitsmodell vorzustellen. Das hilft insbesondere Teammitgliedern, welche bisher wenig Erfahrung mit agilen Arbeitsweisen gesammelt haben, um die neuen Rollen, Regeln und Begriffe kennenzulernen. Aber auch erfahreneren Teammitgliedern hilft es, ihre Rolle nochmal zu schärfen.
Wir legen Wert darauf, dem Team die agilen Werte zu vermitteln, damit es Schritt für Schritt ein agiles Mindset entwickeln kann. Ein guter Start sind die fünf Scrum-Werte: Mut, Offenheit, Commitment, Fokus und Respekt.
Mut und Offenheit werden gleich zu Beginn gefordert, wenn die Teammitglieder in ihre neuen Rollen schlüpfen. Ein Wert, den zu verstehen dem Team anfangs oft schwerfällt, ist Commitment. Wer sein Commitment gibt, verspricht, etwas Bestimmtes zu liefern und alles zu geben, um dieses Versprechen zu halten. Zum Beispiel gibt das Entwicklungsteam im Sprint Planning sein Commitment, die geplanten User Stories im folgenden Sprint zu liefern und gemeinsam die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Aber häufig wird das Commitment vom Entwicklungsteam falsch verstanden: nämlich, dass das Team gescheitert ist, wenn es nicht alle User Stories vollständig liefert. Das erzeugt Druck bei den Teammitgliedern. Dabei wird mit dem Commitment versprochen, mit vollem Einsatz, mit Fokus und mit Hingabe an den User Stories zu arbeiten. Wenn am Ende nicht alle versprochenen User Stories geliefert werden können, wollen wir keine Schuldigen finden, sondern uns verbessern. Denn wir glauben, dass jeder stets sein Bestes gegeben hat. Das Commitment ist eng mit diesem Prinzip verbunden, der sogenannten „Prime Directive“:
Wir verstehen und glauben daran, dass jeder in der gegebenen Situation gemäß seinem Wissensstand, seinen Fähigkeiten und Kenntnissen und mit den vorhandenen Ressourcen sein Bestmögliches gegeben hat.
(Prime Directive)
Aus unserer Erfahrung ist die Auffrischung der Theorie und das Weitergeben von Wissen zu Agilität und dem zugrundeliegenden Mindset ein guter gemeinsamer Startpunkt. Aber Theorie ist eben nicht gleich Praxis. Unser Anspruch als Berater ist, das Team so zu sehen und wahrzunehmen, wie es ist – mit seinen Stärken und seinen Schwächen.
Zu erkennen und zu würdigen, was bereits gut läuft, ist ein Ankerpunkt für uns, selbst wenn wir dafür von der Theorie abweichen müssen. Wenn das Team beispielsweise bereits einen Teil der Meetings oder Werte lebt und diverse Artefakte nutzt, ist es kontraproduktiv, alle bestehenden Strukturen über den Haufen zu werfen. Unser eigentliches Ziel ist, herauszufinden, wie wir aus dem praktisch Vorhandenen und der Theorie gemeinsam – interne Teammitglieder und externer Berater – zu einem erfolgreichen Team werden. Und manchmal tut das eben weh, denn die Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen und der Respekt gegenüber anderen Perspektiven erfordert Offenheit und die Bereitschaft, Konflikte als Chance wahrzunehmen.
Bei jedem Start als ScrumMaster begegnen uns Schwierigkeiten und Hindernisse, sogenannte Impediments, die wir lösen müssen, damit das Team vernünftig arbeiten kann. Als ScrumMaster sind wir häufig nicht in der Position, die Impediments selbst zu lösen. Es ist aber unsere Verantwortung, diese sichtbar zu machen und dafür zu sorgen, dass sie gelöst werden.
Das funktioniert aber nicht, wenn wir alles auf einmal angehen. Um falsche Erwartungen und Frustration zu vermeiden, priorisieren wir. Wir überlegen, welche Themen für den Start des Teams wichtig sind und welche noch warten können. Beispielsweise kann ein Team ohne Backlog nicht in den Sprint starten. Aber ein Team ohne eine Definition of Ready wird trotzdem User Stories formulieren und bearbeiten können. Unser Rat: Arbeitet auch hier agil. Probiert aus und reagiert, wenn etwas nicht funktioniert. Und seid gegenüber dem Team transparent. Wenn es versteht, was gerade passiert, was die nächsten Schritte sind und warum etwas in diesem Moment wichtig ist, wird es positiver reagieren.
Das Wichtigste zum Schluss: Fangt einfach an! Probiert aus und schafft eure eigene Praxis. Wir sind gespannt auf eure Erfahrungen und Kommentare!
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