Gerade wenn Teams schon über einen längeren Zeitraum zusammengearbeitet und etliche Retrospektiven hinter sich haben, kann es sinnvoll sein, einen intensiveren „Boxenstopp“ einzulegen. Vor allem dann, wenn Ansätze von „Teammüdigkeit“, latente Konflikte oder schwächelnder Teamspirit wahrnehmbar sind. In solchen Situationen ist die NAIKAN-Übung eine interessante und wirkungsvolle Methode für einen intensiven und gründlichen Austausch im Team.NAIKAN stammt aus Japan und wurde bereits Anfang der 1940er-Jahre als meditatives Verfahren zur Selbstreflexion entwickelt. Die Wortbedeutung ergibt sich aus NAI-Inneres und KAN-Beobachten (Schau) - also Innenschau. NAIKAN ist in seinem Ursprung eine Methode zur individuellen Selbsterfahrung und Selbstentwicklung. Sie hilft Menschen, ihre ganz einzigartigen Wahrnehmungen, inneren Konstruktionen, mental-emotionalen Muster (die innere Beziehungslandkarte) bezogen auf die Erfahrungen mit anderen Menschen (biographisch) zu erforschen und zu reflektieren. Über Selbsteinsicht soll man dann zu neuen Erkenntnissen, Lösungen und Handlungsmöglichkeiten kommen.Die Übertragung von NAIKAN auf Prozesse der Teamentwicklung ermöglicht eine wirkungsvolle Kombination individueller Reflexion und wirkungsvollem Team-Austausch. Diese Methode ist bewusst sehr einfach in ihrer Struktur, in ihrem Prozess und im Handling und ist ein klassisches Beispiel für menschliche Selbstverantwortung und Selbstorganisation - passt also sehr gut zu agilen Teams! NAIKAN stellt in der Teamvariante folgende drei Fragen:1). Was habe ich von diesem/meinem Team bekommen?
2). Was habe ich dem Team/meinem Team gegeben?
3). Welche Schwierigkeiten habe ich dem/meinem Team gemacht?
Der NAIKAN Prozess läuft in folgenden 5 Schritten ab:1). Zunächst wird die Methode kurz erklärt. Dann gibt der Teamentwickler ein kurzen (!!) und neutralen Rückblick auf die Teambiographie, zum Beispiel so: "Wenn ihr an die Zeit zurückdenkt, in der ihr nun schon als Team zusammenarbeitet, vom Start über die erste Monate................bis zum heutigen Tag. Jeder hat so seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht, hat sich auf seine Weise eingebracht, und hat seine individuelle „Geschichte“ erlebt……“ 2). Jedes Teammitglied bekommt nun ein Blatt mit den drei Fragen und der Anweisung, sich intensiv mit den Fragen zu beschäftigen und die Antworten zu notieren. (Dafür sollte genügend Platz und Zeit zur Selbstreflexion zur Verfügung stehen) 3) Wenn alle Teammitglieder ihre Antworten gefunden haben, tauschen jeweils zwei Kollegen ihre Antworten aus und geben sich Feedback. Dieser Vorgang sollte mehrfach wiederholt werden, evtl. bis jeder mit jedem im Austausch war.
4). Nun trifft sich das Team zu einer kurzen Sharing-Einheit. Sharing heißt, dass jeder Teilnehmer ein kurzes Statement zu seinem inneren Erleben, d.h. zu seiner Gefühlslage des soeben erlebten Prozesses kommuniziert. Jeder bringt sich mit 1-2 kurzen Sätzen ein („ mir ging es …..“, „ich war am Anfang angespannt und hatte dann ein immer angenehmeres Gefühl“, ……etc.) Ganz wichtig: Im Plenum sollte es auf keinen Fall ein ausführliches Prozess-Feedback geben!!!!! 5). Die stille Runde: Jeder Einzelne nimmt sich nun noch einmal Zeit, ganz für sich seine gemachten Erfahrungen zu verarbeiten und bekommt den Auftrag, die positiven Momente mit dem Team und den Kollegen anzunehmen, zu würdigen und das, was er bei sich zukünftig ändern will, zu definieren. Es findet danach ganz bewusst kein weiterer Austausch (auch keine kollektiven Maßnahmen) mehr statt, da NAIKAN ganz auf die Dynamik von lösungsorientierter „Selbstheilung“ beim Einzelnen und dem Team setzt. Der NAIKAN Prozess wirkt „still“ in die zukünftige Beziehungspraxis des Teams hinein und entwickelt in Idealfall eine wahrnehmbare positive Dynamik. NAIKAN arbeitet mit den beiden Ebenen der Beziehungsbilanz (Fragen 1 und 2) und der Beziehungsbelastung (Frage 3) und ermöglicht es, in der strukturierten Selbstreflexion und dem kollegialen Austausch positive und ressourcenvolle Prozesse zu initiieren. Der Teamentwickler sollte präzise An- und Vorgaben machen, die Einzelnen nur bei Bedarf vorsichtig unterstützen und Zweierfeedback- und Sharingrunden diszipliniert führen. Seine Aufmerksamkeit ist bei dem was im Prozess passiert. Er muss genau darauf achten, dass vor allem der Einzelne in Ruhe (Schritte 2 und 5) mit sich selbst arbeiten kann. TIPP: Individuelle Lösungsstrategien entwickeln, wenn es mal im Teamgetriebe knirscht - KonfliktManagement mit Dieter Rösner