Die Idee ist simpel: Wir bringen verschiedene Menschen mit verschiedenen Skills zusammen, geben ihnen ein Ziel, mischen das Ganze mit ein bisschen Koffein und Tata! Da haben Sie ein Team. So einfach ist es aber leider nicht, denn wenn wir ehrlich sind, würden wir lieber allein arbeiten, unser eigener Herr sein, genauso wie Iron Man und die anderen Helden in den Avengers-Filmen. Warum tun wir es uns dann an, in Teams zusammenzuarbeiten? Oder: Warum wollen die Superheld:innen gemeinsam die Avengers bilden?
Riesige Herausforderung schreien förmlich nach Gruppenarbeit und Teams. Laut Tuckman entstehen leistungsstarke Teams aber nicht einfach so, sondern indem sie durch spezifische Phasen gehen: Forming, Storming, Norming, Performing und Adjourning. Sehen wir uns das am Beispiel der Avengers an. Was brauchen sie, um von einer Gruppe zu einem funktionierenden Team zu werden und gegen Loki und eine Alienarmee antreten zu können?
Im Forming geht es nach Tuckman ums Kennenlernen. Die Gespräche sind oberflächlich, Konflikte und Unstimmigkeiten werden nicht adressiert. Alle sollen das Gefühl haben, willkommen zu sein. Geben Sie den Menschen in der Gruppe erstmal Raum und vermitteln ihnen Sicherheit.
Bei ihrer ersten Zusammenkunft beschnuppern die Avengers einander: Es herrscht offensichtliches Mistrauen, das aber nicht ausgesprochen wird. Auch die Verantwortlichen für das S.H.I.E.L.D.-Projekt, die die Avengers rekrutieren, rücken nicht mit der ganzen Wahrheit raus.
Wir hätten die Avengers erst mal in einem Raum zusammengetrommelt und ein Teambuilding organisiert, damit sich die Teammitglieder besser kennenlernen.
Was mit einem unserer Teams schon gut funktioniert hat: Die Dailys an Freitagen nutzen wir für Kennenlernspiele: z. B. 2 Wahrheiten und 1 Lüge. Das Resultat: Da sitzt jetzt nicht mehr nur David, der Programmierer, sondern David, der zwei Töchter hat und gerne laufen geht. Direkt nach den Teambuilding-Aktionen merken wir, dass die Teammitglieder lockerer sind und Barrieren sich lösen.
So verschwand beispielsweise das Misstrauen gegen ein Teammitglied, das sich für das Daily morgens immer von der Straße mit dem Handy einwählte, als die Teammitglieder im Teambuilding herausfanden, dass der Kollege jeden Tag kurz vor dem Daily seine Töchter zur Schule bringt. Wenn nur jemand Iron Man und Captain America zu einem gemeinsamen Spiel hingesetzt hätte, wäre der Avengers-Welt viel Leid erspart geblieben.
In der nächsten Phase, dem Storming, werden Auseinandersetzungen offen ausgetragen und Missverständnisse treten zutage. Deshalb ist es wichtig, dem Team zu vermitteln, warum es zusammenarbeiten soll und was das Ziel ist. Dadurch werden Zwistigkeiten minimiert.
Die verschiedenen Helden haben verschiedene Vorgehensweisen, was zu Konflikten führt. Als Thor Iron Man und Captain America angreift, sagt Cap: „Wir brauchen einen Plan.“ Woraufhin Iron Man nur läppisch antwortet: „Ich habe einen: Angriff!“ Die beiden agieren in dem folgenden Kampf nicht als Team, sondern konkurrieren um die Führungsrolle. Es kommen die individuellen Agenden zu tragen und erste Konflikte treten bei den Avengers auf, weil sie keine gemeinsame Vision haben.
Der Zwist zieht sich weiter fort: Captain America würde gerne ein Team aufbauen, Iron Man verfolgt eine eigene Agenda und sieht keine Notwendigkeit, sich einem Team anzuschließen. Er sieht nur einen Vorteil in der Zusammenarbeit mit Bruce Banner.
Die beiden respektieren einander als Wissenschaftler und bilden einen engen Bund über die gesamte Filmreihe. Die laxe Art von Iron Man geht Captain America gegen den Strich, Streitigkeiten, Diskussionen und neckische Seitenhiebe sind an der Tagesordnung.
Uns ist klar, dass das Erstellen und Verfolgen einer Vision und eine gemeinsame Vorgehensweise die Schlüssel zum Erfolg sind. Also hätten wir die Avengers zu einem Visionsworkshop eingeladen und die nächsten Schritte als Aufgaben, die das Team gemeinschaftlich angeht, in einem Backlog gesammelt und priorisiert.
Dabei hätten wir dem Team ausreichend Raum gegeben, um Rollen, Aufgaben, Rahmenbedingungen und Regeln in der Zusammenarbeit festzulegen und zu klären. Und wer weiß: Mit einem Iron Man als Product Owner und einem Cap als ScrumMaster hätten wir das Team möglicherweise schon bald in die Selbständigkeit entlassen können.
Die Position der Mitglieder ist in dieser Phase bereits geklärt. Das Gerangel ist vorbei, Kommunikation nimmt zu und wird tiefer. Probleme werden angesprochen und verfolgt. Es gibt weniger Schuldzuweisungen. Verantwortlichkeiten werden übernommen. Jetzt wird es wichtig, zu zeigen, dass jede:r einen Anteil am Erfolg hat und keine Aufgabe weniger wichtig ist als die andere. Alle werden in einer sinnvollen Art und Weise und passend zu ihren Fähigkeiten eingebunden.
Die Superhelden stecken eine herbe Niederlage ein und betrauern den Tod eines Agenten. Darüber vergessen Captain America und Iron Man ihre Zwistigkeiten. Sie tun sich mit dem Rest der Superheld:innen zusammen.
Iron Man akzeptiert Captain America als Leader und dieser koordiniert die Gruppe vor der finalen Schlacht.
Vor der finalen Schlacht hätten wir die Avengers zu einer Retrospektive eingeladen, um gemeinsam herauszufinden, was in der derzeitigen Zusammenarbeit fehlt, welche Störfaktoren und Verständnislücken es gibt. Wir hätten uns damit beschäftigt, welche Informationen das Team austauschen muss und wann das passiert, sodass alle Teammitglieder die relevanten Informationen einholen können.
Rollen und Verantwortungen werden überschritten, wenn es dem übergeordneten Ziel dient. Das Team hat einen klaren Fokus auf ein gemeinsames Ziel, kommuniziert konstant, ist offen für neue Ideen und Hilfe werden angenommen, was im Storming noch undenkbar war. Die Teammitglieder verstehen, was die anderen machen und wie sie dieses Wissen zu besserer Leistung nutzen können.
Spoiler-Warnung – natürlich gewinnen sie den allesentscheidenden Kampf.
Bemerkenswert ist hier, dass Nick Fury und die anderen S.H.I.E.L.D-Agent:innen nicht dazwischenfunken und den selbstorganisierten und gut eingespielten Expert:innen das Feld überlassen.
Wir hätten das Team in Ruhe arbeiten lassen und die Zeit genutzt, um eine ordentliche Party vorzubereiten.
Alle Teams lösen sich auf. Am Ende geht es darum, tschüss zu sagen, einen finalen Report zu geben. Besonders schwer fällt der Abschied, wenn einige Mitglieder die Zusammenarbeit sehr genossen haben und noch nicht bereit sind, weiterzuziehen.
Noch eine Spoiler Warnung – auch die Avengers lösen sich am Ende von „Endgame“ auf. Vorher feiern sie ihren Erfolg mit einem Schawarma-Essen.
Wir hätten den Avengers mit einem gemeinsamen Abschluss-Event den Abschied erleichtert. Vor dem Essen hätten wir aber noch gesammelt, welche Schritte ihnen geholfen haben, ein high-perfoming Team zu werden, und was sie beim nächsten Mal anders angehen würden, sodass Sie in einem möglichen Sequel nicht von Null beginnen müssen.
Es ist normal, dass neue Teams nicht von Anfang an hochperformant sind. Außerdem tritt jede Veränderung an einem bestehenden Team wieder diese Phasen los. Als die Guardians of the Galaxy zu den Avengers stoßen, entstehen wieder neue Konflikte, die gelöst werden müssen. Genauso schneidet der Weggang eines Teammitgliedes in die Dynamik ein.
Teams können den Phasen nicht ausweichen, sie aber möglichst sinnvoll und effizient gestalten. Nutzen Sie Retrospektiven, um Konflikte offen anzusprechen, planen Sie, wie Sie Konflikte effizient adressieren können und machen Sie nicht denselben Fehler wie die S.H.I.E.L.D.-Verantwortlichen: Versuchen Sie nicht, Sicherheit durch das Weglassen von Informationen zu schaffen, sondern durch die offene Kommunikation aller Infos. Am Ende des Tages haben auch die Avengers immer wieder ihre Konflikte gelöst – auch wenn das nicht immer ganz friedlich zuging.
Titelbild: Mateusz Wacławek, Unsplash
Literatur: Tuckman, Bruce W. (1965) ‘Developmental sequence in small groups’, Psychological Bulletin, 63, 384-399. Link.