Mein Kunde hatte sich innerhalb eines großen Entwicklungsprojekts vorgenommen, nicht nur die verschiedensten Applikationen den neuen Anforderungen des Marktes anzupassen, sondern gleichzeitig die Software-Architektur zu modernisieren, um Continuous Delivery zu ermöglichen. Gestartet wurde mit mehreren parallel laufenden Scrum-Teams an vier verschiedenen Standorten. Wir hatten einen Kollegen aus dem Fachbereich, der neben der Rolle des Kunden auch zwei Scrum-Teams als Product Owner betreuen sollte. Auf welche Herausforderungen stößt dieser nun in der Rolle als Product Owner mit seinen beiden Scrum-Teams?
Im Allgemeinen ist der Product Owner für das entstehende Produkt und den dazugehörigen Business Value verantwortlich, den das Produkt für das Unternehmen erzeugen soll. Gemeinsam mit dem Team arbeitet er an der Vision, pflegt das Backlog (Schreiben von User Storys und deren Priorisierung im Backlog) und er ist im ständigen Kontakt mit den Stakeholdern.In meinen Augen ist der Product Owner ein betriebswirtschaftlicher Allrounder mit Liebe zur eingesetzten Technologie, der verschiedene Funktionen in einer Person vereint und dafür sorgt, dass das Richtige entwickelt wird. Zusätzlich bringt er die unterschiedlichen Positionen von Team und Stakeholdern zum größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen für das Unternehmen auf einen Nenner. In diesem Fall sah es aber anders aus.
Bereits in den ersten Sprints stellten beide Scrum-Teams unabhängig voneinander fest, dass ihr Product Owner für sie kaum zeitlich verfügbar war. Das Backlog war weder vorbereitet noch priorisiert und daher liefen die Meetings sehr unstrukturiert und nicht konstruktiv ab. Nur sehr schwer konnten die Teams in Erfahrung bringen, welche User Storys im kommenden Sprint bearbeitet werden sollten. Für Fragen während des Sprints stand der Product Owner nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, da er in seiner Rolle als Hauptansprechpartner im Fachbereich viele Aufgaben wahrnehmen musste und häufig unterwegs war. Letztendlich war auch der Product Owner mit der Situation unzufrieden, weil er den Anforderungen der beiden Teams nicht gerecht wurde und zunehmend überfordert war.
Während einer Coachingsitzung mit diesem Product Owner entstand folgendes Bild:
Es zeigt, dass schlichtweg die Fokussierung fehlte. Der Verantwortliche konnte sich weder seiner bisherigen Tätigkeit als Kunde noch seinen beiden Scrum-Teams widmen.Mit dem Fokus auf nur ein Team könnte er sich besser in die Rolle des Product Owners einfinden. So sollte ein Product Owner Vertrauen in die Fähigkeiten seines Teams haben und es selbstständig entscheiden lassen, wie es seine Anforderungen umsetzen will. Dieses Vertrauen kann er jedoch nur erlangen, wenn er sich auf eine Sache, hier ein Scrum-Team, konzentrieren und sich mit dem Team und dessen Fähigkeiten auseinandersetzen kann. Zusätzlich ermöglicht die Fokussierung, auch ausreichend Zeit in die eigene Vorbereitung zu investieren. Mit einem vorbereiteten Product Owner laufen die Meetings strukturiert und effizient ab, sodass alle motiviert in den neuen Sprint starten können.Ein Product Owner ist zudem Teil des Scrum-Teams. Er teilt sich im Idealfall mit dem Dev-Team und dem ScrumMaster einen eigenen Teamraum, verwaltet dort seine Artefakte (Story Map, Product Backlog etc.) und ist als Ansprechpartner verfügbar: für das Team und für die Stakeholder. So kann er sich voll und ganz auf das Team und deren Anfragen konzentrieren und wird nicht ständig unterbrochen. Auf allen Seiten ist dadurch ein Produktivitätsschub zu erwarten.
Im Laufe der ersten Sprints erkannten wir, dass die Konstellation nicht zielführend war. Selbst nachdem der Product Owner ein Scrum-Team abgegeben hatte, spürten wir keine wesentliche Verbesserung. Und so wurde schlussendlich entschieden, dass sich der Vertreter des Fachbereichs nun auf diese Rolle konzentrieren sollte - sie beanspruchte seine volle Aufmerksamkeit.Ich bin der Meinung: Grundsätzlich ist es nicht sinnvoll, einen Product Owner für zwei Scrum-Teams einzusetzen, geschweige denn einen Kollegen, der mit zusätzlichen Aufgaben betraut wird. Die beschriebene Situation zeigt gut, auf welche Schwierigkeiten alle Beteiligten stoßen und dass diese sich nicht immer beseitigen lassen. Die Kunde-Product Owner-Konstellation führte außerdem dazu, dass zwei Teams nicht ausreichend gut und schnell entwickeln konnten und das wiederum verlangsamte das Projekt. Um einer solchen Situation künftig vorzubeugen, sollten alle Projektinvolvierten vor dem Start in den Aufgaben und Rollen innerhalb von Scrum trainiert werden. Zusätzlich sollten die Ausgestaltung der Scrum-Rollen und die Erwartungshaltung innerhalb der Organisation besprochen werden. So können bereits im Vorfeld mögliche Bottlenecks identifiziert und gelöst werden, bevor sie innerhalb des Projekts zu realen Schwierigkeiten führen. Und schließlich bin ich davon überzeugt, dass ein Product Owner seine Rolle nur so effektiv wie möglich ausführen und alles Nötige für sein Team geben kann, wenn er fokussiert arbeitet und sich nicht um mehrere Teams oder Projekte innerhalb der Organisation kümmern muss.Übrigens ist es durchaus möglich, in Scrum einen Product Owner für zwei Teams einzusetzen. Allerdings setzt das unbedingt voraus, dass die Teams bereits seit mehreren Jahren mit Scrum gearbeitet haben und dass es die Produkt-Business-Beziehung vollständig durchdrungen hat. Der Grad der Selbstorganisation innerhalb der Teams ist dann bereits so hoch, dass es ausreicht, die große Vision des Product Owners zu kennen, um das Richtige zu liefern.
Weitere Informationen zu Scrum 3.0 finden Sie hier: "Von Scrum 1.0 zu Scrum 3.0" oder "Boris Gloger and Scrum 3.0: Is the Future of Scrum Really No Backlogs or Standups??"