Verwaltungen gelten bei vielen als die Dinosaurier der Arbeitswelt schlechthin: langsame Prozesse, Bürokratie, Dienst nach Vorschrift und so weiter. Ich wurde in der vergangenen Woche aber eines Besseren belehrt.Zum einen war ich mit meiner Kollegin Katharina Clauss auf der Messe dikomm in Essen. Sie ist laut Aussage der Veranstalter eine Messe für Entscheider in der öffentlichen Verwaltung. Katharina und ich ließen es uns nicht nehmen, dort sowohl mit einem Stand vertreten zu sein als auch einen Vortrag über die agilen Werte und Prinzipien bzw. über Agilität als bürgerzentrierten Ansatz zu halten. Schließlich ist der Nutzer des Verwaltungshandelns kein Geringerer als der Bürger, also sollte dieser auch in den Fokus genommen werden.
Wir waren uns nicht sicher, wie das Publikum auf unsere These reagieren würde, doch bei den Gesprächen, die wir nach dem Vortrag am Messestand führen konnten, wurden wir sehr überrascht. Auch die Verwaltungen und Kommunen in Deutschland sehen sich mit ständig neuen und schneller wechselnden Anforderungen konfrontiert. So spielen Kommunen eine maßgebliche Rolle bei der Umsetzung der 19 „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen, Bürger und Bürgerinnen fordern immer mehr Beteiligung und Mitentscheidung bei wichtigen Themen ein, die demografische Entwicklung, Digitalisierung sowie die Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger fordern innovative Vorgehensweisen.Doch nicht nur dieser äußere Druck lässt die Führungskräfte in der Verwaltung zum Ergebnis kommen, dass sie Veränderungen einleiten müssen. Viele der Führungskräfte betonen auch, dass sie die Verwaltung zu einem attraktiven Arbeitgeber machen wollen, der in Konkurrenz zu anderen Organisationen im Kampf um junge Talente bestehen kann. Aus diesem Grund ist vor einigen Monaten die Stadtverwaltung Kehl auf uns zugekommen und hat uns gefragt, ob und wie wir sie unterstützen können. Natürlich haben wir nicht lange gezögert, schließlich ist Agilität eine Haltung und nicht auf Softwareentwicklung begrenzt.
Nun werden einige einwenden, dass Agilität in der Verwaltung ein Paradoxon ist. Dem widerspreche ich entschieden. Klar ist, dass jede Organisation, in der wir arbeiten, mit ihren eigenen Rahmenbedingungen zu tun hat; es ist sogar ein immanenter Bestandteil des agilen Mindsets, dass man nicht am System arbeitet, sondern iterativ-inkrementell im System Veränderungen anstrebt. Unter der Lupe betrachtet ist die Verwaltung eine Waage, die in Balance bleiben muss. Einerseits finden wir klassisch hierarchisch geprägte Organisationen voller Spezialisten vor, die nach Weisungen und zentralen Entscheidungen arbeiten und durch fixe Strukturen und Standardabläufe eine gewisse Planung und Kontrolle möglich machen. Also gar nicht so viel anders wie es in einem Großkonzern abläuft. Und warum sollte in der Verwaltung nicht das klappen, was in Großkonzernen auch funktioniert? Also: interdisziplinäre Teams, Selbstorganisation, Kommunikation sowie Kunden-, sprich: Bürgerfeedback.Andererseits war und ist der Grundgedanke der agilen Haltung in der kommunalen Selbstverwaltung bereits angelegt. Diese Haltung beginnt beim einzelnen Mitarbeiter bzw. den Führungskräften. In der Stadtverwaltung Kehl konnte ich sie bei den Menschen spüren, ja fast greifen. Ich betreue dort als Coach fünf unterschiedlich große Gruppen aus unterschiedlichen Abteilungen. Jedes Mal, wenn ich dort bin, merke ich, dass der „Dinosaurier der Arbeitswelt“ voller Energie und Motivation steckt und mit Begeisterung die agile Arbeitsweise für sich entdeckt und ausprobiert.So wird das Bild des Dinosauriers abgelöst durch das eines neuen, zarten Pflänzchens, das mit Hilfe der agilen Arbeitsweise immer größer und stärker werden wird. Damit dieses Pflänzchen wachsen kann, braucht es Pflege und ein sich Kümmern; eine Aufgabe, der wir uns gerne widmen.Foto: pixabay license, SPOTSOFLIGHT