Tagein tagaus werden wir Führungskräfte in Vieraugengespräche verwickelt. Wir bekommen E-Mails, werden am Gang angesprochen, haben Meetings und Telefonate - jeweils mit Einzelpersonen. Das ist anstrengend, kostet Zeit und eure Teams und Abteilungen, die ihr führt, haben etwas Besseres verdient als eine Führungskraft, die sich darin aufreibt, das Bottleneck der Kommunikation und damit der Entscheidungen zu sein.
Agile Organisationen, ob Teams oder ganze Firmen, schreiben sich “radikale Transparenz” auf die Fahnen. Das betrifft alle Informationen eines Unternehmens. Und was ist an dem Austausch unter vier Augen transparent? Richtig, nichts. Da Organisationen nichts anderes sind als Systeme aus Kommunikationen, ist also das Vieraugengespräch im Grunde der Aufbau einer Schattenorganisation. Eigentlich müsste man jedes dieser Gespräche sofort notieren und an das gesamte Team, die gesamte Abteilung zur Kenntnisnahme schicken. (Achtung: Es geht nicht um Infos wie „da hat jemand angerufen, ruf bitte zurück“ oder „wie war das Wochenende?") Nicht nur auf den ersten Blick sehr unpraktisch. Schlicht undurchführbar.Doch es gibt eine Lösung: Wieder haben uns Software-Entwickler gezeigt, wie man die Kommunikation im Team radikal transparent hält. Sie haben einen Weg gefunden, der Organisation und damit der Kommunikation - denn eine Organisation ist ein System aus Kommunikationen - eine Gestalt zu geben. Man setzt öffentliche Chatrooms (oder Channels) ein und kommuniziert so gut wie alles über dieses Medium. Jeder kann ständig mitlesen, ist auf diese Weise immer informiert — und die Organisation wird sichtbar. Applikationen wie Slack, MS Teams und andere folgen diesem Prinzip.Doch ich erlebe viele Führungskräfte, die noch immer fleißig Vieraugengespräche suchen oder E-Mails und Direct Chat Messages verschicken, obwohl ihre Teams die öffentliche Variante nutzen. Das ist kontraproduktiv. Diese exklusive Kommunikation erzeugt Misstrauen, weil exklusive Informationsbeziehungen entstehen. Das verlangsamt den Kommunikationsprozess und damit die Wertschöpfung.
In meinem eigenen Unternehmen und in unserer Beratungspraxis versuchen wir dem mit dem Merksatz „No One2Ones!“ entgegenzuwirken. Ich achte darauf, dass ich so gut wie keine One2Ones mit meinen Kollegen habe. Es gibt natürlich, wie immer, Ausnahmen. Darunter fällt zum Beispiel das Coaching-Gespräch, also wenn ein Kollege eine tiefe Reflexion über einen Sachverhalt benötigt, oder auch mal ein kurzes Brainstorming dazu, wie es weitergehen könnte. (Das ist allerdings schon grenzwertig, denn die Ergebnisse müssen ja wieder mitgeteilt werden, und hätten alle mitgedacht, oder die, die es interessiert …). Natürlich gibt es die One2One-Abstimmung, ob wir gemeinsam diesen Flieger nehmen oder einen anderen. Doch ansonsten achte ich darauf, dass ich immer mindestens zwei Personen bei einem Gespräch oder bei einer E-Mail anspreche. Diese Kommunikationspraxis wird bei uns noch lange nicht durchgängig gelebt und das muss auch gar nicht sein. Der Anspruch ist nicht, dass es gar keine One2Ones mehr geben soll, sondern nur, dass es in diese Richtung geht. Wir wollen die Kommunikation so transparent wie möglich halten.Unternehmen, die sich in diese Richtung bewegen, werden mit der Entwicklung einer offenen Kultur belohnt. Wie geht das mit 50 Menschen? Genau so: Es gibt Channels, die alle lesen, es gibt Channels, die nur wenige lesen, diese sind dennoch öffentlich, und es gibt immer weniger One2Ones.Was habe ich als Führungskraft davon? Es entsteht eine offene Kommunikationskultur und viel weniger Arbeit. Dinge müssen nur einmal geschrieben oder in einem Online Call gesagt werden.Was braucht es dazu? Ein modernes Chatsystem, wenn das Team verteilt arbeitet. Das Vermeiden direkter Nachrichten, wenn man gemeinsam in einem Raum sitzt, und im persönlichen Kontakt so wenige Vieraugengespräche wie möglich.