Brief an einen jungen Projektmanager

Lieber Achim, bevor du mit Scrum anfängst, möchtest Du von mir wissen, was Scrum denn eigentlich ist. Ich könnte jetzt einfach loslegen und schulbuchmäßig von den Rollen, den Meetings und den Artefakten erzählen. Viel lieber möchte ich dir sagen, was Scrum nicht ist: Es ist keine paragraphenlastige Methode für das Management von Projekten. Dazu ist Scrum nämlich viel zu leichtfüßig. Du kannst jederzeit und mit wenig Aufwand ein laufendes Projekt auf Scrum umstellen. Alles, was du dazu brauchst, ist:

  1. Ein fünf- bis neunköpfiges Team, das irgendein Produkt (weiter-)entwickelt.
  2. Jemand, der Verantwortung für die Gestaltung des Produktes übernimmt (das ist der Product Owner).
  3. Eine Person, die sich darum kümmert, dass Scrum gemacht wird (das ist der ScrumMaster).

Außerdem brauchst Du einen Team-Raum, Flipcharts, eine Moderationswand und viele Moderationsmarker (die trocknen nämlich schnell aus). Schon kannst Du loslegen. Du hast immer noch keinen Plan? Das ist normal. Ich stand neulich kurz vor dem ersten Sprint mit einem neu geformten Team, das Hardware und Software für ein neues Produkt im Automobilbereich entwickelt. Alle fragten sich, was das Team denn im ersten, zweiwöchigen Sprint machen sollte.Der Product Owner hatte die gewünschten Produkteigenschaften aufgeschrieben. Aber diese waren noch viel zu grob, um die Arbeitsgrundlage für zwei Wochen zu stellen. Also fragten wir das Team, was es für die nächsten zwei Wochen vorhabe - und was davon es nach diesen zwei Wochen fertig vorstellen könne.Im Gespräch zwischen Team und Product Owner wurde schnell deutlich, worauf es ankam: Priorisieren und definieren. Zwei Entwickler arbeiteten an einem Produktfeature, das aus Sicht des Product Owners weniger wichtig war. Also wurde es zurückgestellt. Der Rest des Teams arbeitete gut und zuverlässig vor sich hin, aber eben nur vor sich hin. Die Frage, was denn in zwei Wochen tatsächlich fertig vorstellbar sein könnte, führte zu einer Zielklärung. Vierzehn Tage später hatten wir ein wunderbares allererstes Review, in dem das Team ein Handshake zwischen zwei Geräten sowie ein fertiges Schaltbild für das neue Produkt vorstellte. Scrum ist kein Wunderland. Ja, die ersten Erfolge zeigen sich sehr schnell. Ja, die Arbeitweise ist komplett verschieden und viel, viel besser - weg von Dokumentenstapeln, Abteilungen und Sitzungen, hin zu Kommunikation, Kommunikation und Kommunikation. Gerade das macht die Umstellung im großen Stil dann auch so schwierig. Ein einzelnes Team fällt wenig auf. Es kann noch mehr oder weniger unbefangen vor sich hin scrummen. Spätestens dann, wenn die gesamte Entwicklung auf Scrum umgestellt wird, stellen sich die Fragen nach alter und neuer Welt. Was macht ein Projektleiter, was macht ein Produktmanager in Scrum? Wie sehen Zielvereinbarungen für Team-Mitglieder aus? Und wie schaffen wir es, Teams tatsächlich den Rücken freizuhalten, so dass sie ihre Zeit und Konzentration einem Produkt widmen können? Hier ist das Management in der Verantwortung, die Arbeitswelt neu zu denken (siehe Helenes Blog zum Transition Team). Lieber Achim, ich möchte diesen Brief gerne mit einer Metapher beenden. Spielst du Schach? Dann weißt Du, wie leicht das Spiel zu lernen ist. Selbst ein Kind kann die Regeln schnell verinnerlichen und zuverlässig anwenden. Du hast auch sehr schnell Spaß bei der Sache - der Gegner darf nur nicht allzu gut sein. Mit der Zeit merkst du, dass viel Raum nach oben ist. Dass du mit bestimmten Kombinationen sehr schnell sehr viel besser werden kannst. Hier helfen die Ratschläge, Tipps und Tricks von erfahrenen Freunden, die schon etwas länger im Geschäft sind. Und wenn du dann erstmal soweit bist, dass keiner Dich mehr so leicht schlägt - dann fängt der lange Weg zum Gipfel erst an. Und ja, auch das sollte Spaß machen, weil es um die Kunst der kontinuierlichen Verbesserung geht. Was im Schach der Sieg gegen einen Meister ist - das ist in Scrum ein stolzes Team, das ein richtig geiles Produkt aus der Hand gibt.

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bgloger-redakteur
December 12, 2012

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