Wer sich inmitten einer agilen Transformation befindet, kennt gegebenenfalls folgendes Szenario:Einige Produktentwicklungsteams im Unternehmen arbeiten bereits agil mit Kanban, Scrum, Design Thinking oder anderen Methoden. Die anfängliche Euphorie über die Taskboards, die Rollen von ScrumMaster und Product Owner sowie über die sogenannte „Selbstorganisation“ hat sich gelegt. Die Realität hat die Organisation eingeholt. Selbst bei vermeintlich einfachen Aufgaben, wie dem Bereitstellen eines Teamraums oder dem Anpassen der Stellenbeschreibungen geht es keinen Schritt voran. Es fühlt sich an wie in einer Sackgasse und die Organisation scheint trotz bester Absichten paralysiert.Um so einem Szenario vorzubeugen, empfehlen wir, vor dem Start der agilen Transformation ein Transition Team zu bilden, das die Transition wie ein Schiff nach vorne navigiert, Stürme meistert und an Klippen und Eisbergen vorbei manövriert. Die Mitglieder des Transition Teams agieren als Change Agents und sorgen dafür, dass Stakeholder rechtzeitig abgeholt werden, unternehmensweite Impediments gelöst werden und der Rahmen für die Produktentwicklungsteams optimiert wird.
Doch wer sollte Teil des Transition Teams sein? Diese Frage habe ich mir auch in meinem ersten Transformationsprojekt gestellt. Die richtige Antwort darauf ist: Jeder, der ins Transition Team gehört. Allerdings half mir diese Antwort damals nicht weiter, also habe ich die Frage in ihre Bestandteile zerlegt. Das Ergebnis ist ein Transition Team Canvas, das als Orientierung dabei unterstützt, die potentiellen Mitglieder des Transition Teams zu ermitteln.[caption id="attachment_28340" align="aligncenter" width="610"]
(c) Sabina Lammert[/caption]
Ich habe sie bisher in jedem Unternehmen erlebt: Jene Mitarbeiter, die lange bevor sie das Wort „agil“ gehört haben bereits nach agilen Werten und Prinzipien gearbeitet und gelebt haben. Nach Everett M. Rogers‘ Diffusionstheorie würde man sie als die agilen „Innovators“ und „Early Adopters“ bezeichnen. Sie sind der neuen Führungsphilosophie und den neuen methodischen Ansätzen gegenüber sehr aufgeschlossen. Sie agieren lösungsorientiert und halten nicht verbissen an alten Strukturen fest. Unabhängig davon, wer von ihnen letztendlich im Transition Team sein wird, ist es gut, sich ihrer Existenz bewusst zu sein.
Mit dieser Frage starten wir die Suche nach dem Product Owner des Transition Teams, der als Visionär das Ziel der Transformation stets vor Augen hat. Er begeistert und motiviert das Transition Team und darüber hinaus die restlichen Mitarbeiter und Führungskräfte des Unternehmens. Er ist dafür verantwortlich, dass die Transition auf Kurs bleibt und überlegt sich die nächsten richtigen Schritte in Absprache mit den Stakeholdern. Zu diesem Zweck pflegt er sein Transition Team Backlog auf den Ebenen der Architektur, der Infrastruktur, der Skills, der Produktentwicklung, der Methode und der fraktal skalierten Organisation (siehe Pyramide „Bausteine der agilen Skalierung“ in „Scrum Think big“ von Boris Gloger).
Die Unterstützung der Geschäftsführung ist für eine erfolgreiche agile Transformation essentiell. Entscheidungen werden schneller getroffen und man sichert sich die Unterstützung bei kritischen Konfrontationen, wenn man das Top-Management einbezieht. Zum Beispiel kommt es vor, dass es zwischen der IT und den Produktentwicklungsteams Formen des passiven Widerstands gibt: Absprachen zur Optimierung der Releasezyklen werden nicht eingehalten und die benötigte Software wird nur langsam beschafft. „Ansagen von oben“ können in solchen Fällen Berge versetzen.
Das eben genannte Beispiel der IT möchte ich an dieser Stelle noch einmal aufgreifen. Wenn man früh in der Transformation feststellt, dass in einer Abteilung an vielen Stellschrauben gedreht werden muss, ist es durchaus sinnvoll, einen entscheidungsbefugten Vertreter genau dieser Abteilung in das Transition Team zu integrieren. Idealerweise findet man jemanden, der das richtige Mindset hat und lösungsorientiert Impediments bearbeitet. Sind zum Beispiel viele Umzüge notwendig, hat es sich als sinnvoll erwiesen, jemanden aus dem Facility Management im Transition Team zu haben.
Stakeholder, die den Change-Prozess ohnehin unterstützen, kann man hier direkt auflisten. Auf jeden Fall sollte man sich über jene Stakeholder Gedanken machen, die dem Transition Team Steine in den Weg legen könnten. Manchmal lohnt es sich, genau diese Stakeholder ins Transition Team holen, damit sie in die Verantwortung genommen werden und den Weg zur erfolgreichen Transformation ebnen.
Die Produktentwicklungsteams gehören zu den „Usern“ der Transformation. Zu Beginn einer Transformation gibt es in der Regel Pilotprojekte, bei denen erste Erfahrungen mit der agilen Methode gesammelt und dem Transition Team jene Impediments gemeldet werden, die die Scrum Teams nicht selbst lösen können. Damit sich die Organisation am Anwender orientiert entwickeln kann, ist hier ein regelmäßiger Austausch notwendig.
Natürlich kann es vorkommen, dass manche Personen(-gruppen) für das Transition Team in Frage kommen würden, aber zu keiner der genannten Fragen als Antwort passen. Jedes Unternehmen ist anders und aus diesem Grund lohnt es sich, immer kurz zu überlegen, wer noch fehlen könnte.
Nachdem man die potentiellen Mitglieder aufgelistet hat, muss man noch folgende Kriterien prüfen: Freiwilligkeit, Kapazität und agiles Mindset. Die Teammitglieder werden im Vergleich zu einem Scrum Team nicht zu 100 Prozent für das Transition Team arbeiten und hauptsächlich strategisch tätig sein. Operative Tätigkeiten werden an sogenannte Fokusgruppen übergeben (siehe hierzu „Scrum Think Big“ von Boris Gloger). So wie ein Scrum Team sollte auch ein Transition Team nicht mehr als neun feste Mitglieder haben. Eines dieser Mitglieder ist ein Agile Coach, der die laterale Führung übernimmt. Er sollte sowohl mit dem Top-Management als auch mit den Vertretern der Scrum Teams auf Augenhöhe reden können und eine Hands-on-Mentalität haben, da er die Meetings organisiert, strukturiert und Konflikte im Team frühzeitig adressieren muss. Daher sollte die Wahl auf jemanden fallen, der auch dann durchsetzungsstark und standhaft ist, wenn das Top-Management mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert werden muss.Meine bisherigen Erfahrungen mit dem Transition Team Canvas in Zusammenarbeit mit Kunden waren sehr positiv. Durch die klare Fragestellung in den verschiedenen Feldern kann man sich beim Bilden des Transition Teams systematisch und strukturiert vorarbeiten und man erreicht verhältnismäßig mühelos das ursprüngliche Ziel: Jene Leute ins Transition Team zu holen, die ins Transition Team gehören.Meine Präsentation anlässlich der Agile Tour Vienna 2018 zu diesem Thema gibt es hier als Download