Als wir unser Team in Frankfurt etablierten, kam ich wiederholt an den Punkt, der beim Bilden neuer agiler Teams regelmäßig aufpoppt: das Aufsetzen und Standardisieren von Prozessen. Es ist an der Zeit, mit dem weit verbreiteten Irrtum aufzuräumen, Prozesse gehörten in einer agilen Umgebung der Vergangenheit an.Natürlich ist es zwiespältig: Einerseits sind Prozesse essenziell für die Organisation eines Unternehmens. Zugleich sind langwierige und behäbige Prozesse einer der Gründe dafür, dass Konzerne und Großunternehmen den Anschluss an Innovation - und damit vor allem ihre Kunden - verlieren. Der Kunde will nicht warten, nur weil ein Geschäftsprozess eingehalten werden muss.Unternehmen verstehen Prozesse als Richtlinien, an die man sich halten muss. Sie genießen so etwas wie Gesetzesqualität und werden von den Mitarbeitern zwar bemängelt, jedoch selten in Frage gestellt oder gebrochen. Die Grundregel lautet: „Wir machen es so, weil es der Prozess so vorsieht.“Erstaunlicherweise gilt diese Aussage aus verschiedenen Gründen auch in einem agilen Umfeld.
Definierte Prozesse ermöglichen ein strukturiertes, kollaboratives Arbeiten. Je präziser Prozesse definiert sind, umso klarer sind die Rahmenbedingungen, die agiles Arbeiten erst möglich machen. Dadurch entsteht für die Mitarbeiter Sicherheit in einem unsicheren Umfeld: Halte ich mich an den Prozess, brauche ich keinen Gedanken daran zu verschwenden, ob ich es richtig mache. Ich kann mich auf meine Kollegen und meine Organisation verlassen.
Erst wenn ein Vorgang immerfort in derselben Reihenfolge wiederholt wird, kann man an diesem Prozess eine Verbesserung vornehmen. Es ist wie mit einem Backrezept: Hält man sich immer exakt an das Rezept, schmeckt der Kuchen immer gleich gut (oder schlecht). Backe ich den Kuchen mit den gleichen Zutaten, aber in anderer Reihenfolge, entsteht ein anderer Kuchen. Der kann zufälligerweise mal besser gelingen, genauso aber auch scheitern. Erst wenn ich den Prozess dokumentiert ändere, kann ich den Erfolg reproduzieren oder den Misserfolg vermeiden.Hinzu kommt, dass man durch häufiges Wiederholen Übung bekommt und erst dadurch merkt, wo es hakt, wo es Probleme gibt, was automatisiert oder ganz weggelassen werden kann. Um in der Metapher zu bleiben: Am Anfang halte ich mich exakt und aufs Gramm genau an das Rezept, im nächsten Schritt mische ich die Zutaten nach Gefühl und vielleicht auch in einer anderen Reihenfolge, weil ich weiß, wo exaktes Arbeiten entscheidend ist und wo Augenmaß ausreicht. Ein Profi braucht schließlich kein Rezept mehr, sondern weiß aus tiefer Erfahrung, wie ein Kuchen gut wird und welche Zutaten zusammenpassen. Er kommt auch auf Kombinationen, die ein Anfänger nie zusammenrühren würde.
Befolge ich für einen bestimmten Vorgang einen vordefinierten Prozess, erspare ich es mir, jedes Mal aufs Neue darüber nachdenken zu müssen, welche Prozessschritte es gibt und in welcher Reihenfolge ich sie abarbeiten muss. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch Gedanken und ich kann meinen Fokus auf denkintensive Vorgänge richten.
Vordefinierte Prozesse ermöglichen es jedem, diese zu befolgen. Je definierter die Prozesse sind, umso geringer ist der Einarbeitungsaufwand. So kann jeder Kollege, auch wenn er bislang nicht in den jeweiligen Prozess involviert war, die Arbeit dem Prozess entsprechend übernehmen.
Die Herausforderung besteht darin, genau jene Prozesse zu definieren, die erforderlich und notwendig sind. Prozesse können dabei schnell zu einem Korsett werden, das selbstbestimmtes Arbeiten behindert. Ich befolge daher vier Grundregeln für meine Projekte:
Richtig angewendet können Prozesse ein Segen sein und haben gerade auch in einem agilen großen Anteil am Erfolg!