Schweigen ist Gold - vom Wert des passiven Zuhörens

Wie leicht fällt es Ihnen, in einem Gespräch – sei es mit nur einem Partner oder in Meetings – bewusst mal länger zu schweigen? Besonders dann, wenn Sie zur Sache jede Menge Wesentliches und Kompetentes beitragen könnten und diesen inneren Drang verspüren, sich einbringen zu wollen. Immer wieder fällt mir in Kommunikationstrainings oder im Coaching auf, dass vor allem Führungsverantwortliche eher auf das Reden als auf das (längere) Schweigen programmiert sind. Häufig stecken da natürlich durchaus legitime Bedürfnisse dahinter, wie andere zu informieren, zu motivieren, zu überzeugen, sich durchzusetzen usw. Trotzdem ist der Erfolg des gut gemeinten Redeschwalls meistens gering. Fast jeder kennt den Begriff des aktiven Zuhörens als eine fundamentale und seit langem favorisierte Methode für erfolgreiche und dialogorientierte Kommunikation – das ist schon mal ein Fortschritt. Aber in der Praxis wird diese Kenntnis oder Erkenntnis, dass aktives Zuhören durchaus weiterbringen könnte, zu selten umgesetzt. Gründe siehe oben.Deshalb hier mein eindringliches Plädoyer für passives Zuhören. Im Gegensatz zum obigen Kommunikations-Oldie liegt hier der alleinige Schwerpunkt erst mal auf Schweigen und stiller Wahrnehmung.

Schweigen ist Wahrnehmung

Schweigen hat in fernöstlichen Praktiken wie Meditation, Yoga etc. einen sehr hohen Stellenwert, aber durchaus auch Traditionen in westlich-religiösen Bezügen (z.B. im kontemplativen Gebet). Man kann von zwei Anwendungsgebieten sprechen: Zum einen vom Schweigen mit sich selbst, alleine und zum anderen von einem situativen Element in der Kommunikation mit anderen Menschen. Beide stehen in einem engen Zusammenhang und profitieren voneinander. Schweigen mit sich selbst fördert die Selbstwahrnehmung. Es fokussiert auf das Selbst, dient der Entspannung und Entschleunigung. Gerade für Führungskräfte kann das eine wesentliche Kraftquelle für gute agile Führung sein.Schweigen im Dialog, also passives Zuhören, schärft neben der situativen Selbstwahrnehmung (wo stehe ich im Moment? Was passiert gerade? Was kommt bei mir an? Wie geht es mir damit? Wie wirkt mein Partner auf mich? etc.) auch die so wichtige Fremdwahrnehmung. Es gibt dem anderen die Zeit sich einzubringen, sich Raum zu nehmen. Und das schafft u.a. die derzeit allseits gepriesene Augenhöhe. Es kann das Gegenüber indirekt und elegant aufwerten und bestätigen. Angemessenes Schweigen fördert Vertrauen und führt oft überraschenderweise zu Lösungen und Entwicklung. Das bedeutet, der Wert bezieht sich nicht nur auf die sozialen Bezüge, sondern durchaus auch auf die sachlichen und fachlichen Themen. Schweigen ist auch eine Intervention und löst mehr aus, als man gemeinhin denkt.Im 1973 erschienenen Roman „Momo“ von Micheal Ende fasziniert folgende Stelle zu meinem Thema:„Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war das Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur recht wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm plötzlich Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose, unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt, und er ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf und er ging hin und erzählte das alles der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören!”Diese sicher etwas idealisierte Episode zeigt doch wunderbar den Kern meiner Botschaft auf. Schweigen und passives Zuhören hat einen hohen Wert dort, wo es im Dialog angemessen praktiziert wird. Der Kabarettist Dieter Nuhr hat den Satz geprägt: „Öfter mal die Schnauze halten.“ Kurz, prägnant und flapsig trifft diese Aussage durchaus das Thema.In dem bemerkenswerten Buch „Embodied Communication“ (2013, Huber Verlag) schlagen Maja Storch und Wolfgang Tschacher das „AAO Geschenk“ der Kommunikation vor:

  • Aufmerksam sein (auf die Situation, auf die eigenen Affekte und die des Gegenübers),
  • Augen auf (Wechsel zwischen direktem Blickkontakt und peripherem Gesichtsfeld),
  • Ohren auf (zwei Ohren genügen, aber die wirklich offen).

Nicht verschwiegen werden soll hier natürlich, dass (intensives) Schweigen durchaus auch missverstanden werden kann, z.B. im Sinne von Ablenkung, Gleichgültigkeit, sogar Ignoranz, Hilflosigkeit oder Schwäche.Meine Empfehlungen zu diesem Thema heißen also:

  • Mehr bewusstes Schweigen in der Kommunikation zulassen und einsetzen
  • Zuerst für sich allein üben (gar nicht so einfach), das Seine partiell loslassen oder vorerst sein lassen
  • AAO nutzen
  • Dem Dialogprozess mehr vertrauen
  • Erfahrungen mit passivem Zuhören sammeln und den eigenen, angemessenen Weg suchen und finden.

Agile Führung nimmt Meta-Perspektiven ein. Sie hält eine gesunde Distanz, gibt Raum, versucht differenziert wahrzunehmen und setzt funktionale Interventionen.

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Agile Toolbox
Scrum
bgloger-redakteur
February 6, 2015

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