Im Blogpost „So profitieren neue Geschäftsmodelle von neuem Organisationsdesign” habe ich über den Mechanismus geschrieben, dass veränderte Geschäftsmodelle häufig ein verändertes Organisationsdesign erzwingen. Das möchte ich in diesem Beitrag speziell am Plattform-Business spiegeln.
Warum ist Plattform-Business überhaupt entstanden und wie funktioniert es?
Aufgrund der steigenden Dynamik der Märkte, wie im Blogpost „Darum erfordern neue Marktbedingungen im Handel ein neues Organisationsdesign“ hergeleitet, ist für heutige Handelsorganisationen immer weniger klar, was Kunden wollen. Auch die Halbwertszeit von passfähigen Angeboten wird immer geringer. Dadurch steigt das Bestandsrisiko für diese Handelsorganisationen.
Auf Basis dieser Herausforderung ist ein neuer Typ von Geschäftsmodellen entstanden: das Plattform-Business. Der selbstverstärkende Kreislauf in der folgenden Abbildung stellt die Mechanismen von Plattformen anschaulich dar.
Umso bessere Produkte und Services auf der B2C-Seite angeboten werden, desto größer wird die Bindung der Kunden an die Plattform. Das führt in weiterer Folge dazu, dass die Menschen öfter wiederkommen, um erneut einzukaufen (Frequenz).
Diese Dynamik erhöht auf der B2B-Seite die Attraktivität, mit dem eigenen Produkt- und Serviceangebot auf der Plattform präsent zu sein. Dadurch nutzen immer mehr Anbieter die Plattform, was letztendlich über Skalierungseffekte zu sinkenden Kosten und steigendem Umsatz führt.
Der höhere Umsatz bewirkt wiederum, dass noch mehr Produkte und Services auf der Plattform angeboten werden. Und so verstärkt sich dieser Kreislauf kontinuierlich selbst. Eine Art Win-Win-Win-Situation, für die Plattform selbst, die Kunden (B2C) und die Anbieter (B2B).
Da sich wie gesagt der Markt vom Verkäufer- zum Käufermarkt gewandelt hat, wird es immer schwieriger, die richtigen Angebote für den Markt bereitzustellen. Damit steigt auch das Risiko einer sich ändernden Nachfrage und eines damit einhergehenden Umsatzrückgangs. Ein Plattform-Business lagert dieses Risiko an die Anbieter aus, welche die Plattform nutzen. Unternehmen, von denen Produkte zum Weiterverkauf bisher erst gekauft werden mussten, werden nun zu direkten Anbietern auf der Plattform. Für diese wird das Risiko zwar größer, allerdings haben sie gleichzeitig den Vorteil, dass sich durch die Nutzung der Plattform auch die Reichweite erhöht. Amazon kann man in diesem Zuge als Vorreiter ansehen.
Was ist allerdings zwingend zu beachten, wenn sich eine Handelsorganisation zu einem Plattformanbieter transformiert?
Das Organisationsdesign sollte sich zwingend anpassen, denn diese Organisation wandelt sich von einem Dienstleister zu einem Produktanbieter. Dazu kommen wir nun.
Unten ist ein so genannter Entscheidungsbaum abgebildet, mit dem eine konsequente Ausrichtung einer Organisation entschieden werden kann. Diese Entscheidung ist eine unternehmerische, also nicht Gott gegeben, sondern wird festgelegt, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen.
Bevor der Entscheidungsbaum erklärt wird, eine Anmerkung vorweg. Ob eine Handelsorganisation sich eher als Produktanbieter oder als Dienstleister definiert, sollte klar entschieden werden. Wissend, dass die meisten Produktanbieter auch rund um ihre Produkte Dienstleistungen anbieten, sollte trotzdem diese 0-1 Entscheidung getroffen werden, da diese Auswirkungen auf das Organisationsdesign hat. Eine konsequente Ausrichtung im Kontext Organisationsdesign ist notwendig, ein Mischmasch eher nicht passfähig.
Beginnen wir mit Produktanbieter. Produktanbieter zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine hoch frequentierte Interaktionsrate mit ihren Kunden und Nutzern entlang deren Customer und User Journeys haben. Sie sollten diese sehr gut kennen, um entsprechend passige Features in ihre Produkte einzubauen, die ein Exekutieren der Customer und User Journeys für Kunden und Nutzer nutzenstiftender für diese macht. Selbstverständlich. Allerdings müssen sie beim Exekutieren ihres eigenen Geschäftsmodells nicht intensiv mit den Journeys der Kunden und Nutzer interagieren. Dementsprechend sollten Handelsorganisationen, die als Plattformbetreiber agieren wollen, sich im Organisationsdesign nach den Komponenten der Plattform aufstellen. Diese Komponenten könnten die fachlichen Segmente der Plattform sein, wie „Partner Management“, „Customer Management“, „Matchmaking“, „Assortment Management“, „Payment and Credit Management“ etc. Die Plattform ist in diesem Sinne das Produkt, welches angeboten wird.
Wie sieht es nun mit dem anderen Ast des Entscheidungsbaumes aus? Kommen wir zum Dienstleister. Im Gegensatz zum Produktanbieter haben Dienstleister eine hoch frequentierte Interaktionsrate mit Nutzer und Kunden entlang der User und Customer Journeys. Sie definieren sich eher darüber, dass sie an ganz vielen Punkten der Journeys Dienstleistungen im Rahmen von Interaktionen erbringen. Dementsprechend sollten Dienstleister sich entlang dieser User und Customer Journey aufstellen. Eine klassische Handelsorganisation, die Produkte einkauft und dann mit einer bestimmen Marge verkauft ist ein Dienstleister.
Wie sieht das entsprechende Organisationsdesign für Dienstleister aus? Sollten sich Retail-Produktanbieter entlang der Plattform (als Produkt) aufstellen, sind es bei Retail-Dienstleister eher die User und Customer Journeys entlang verschiedener Shoppingkontexte. Was bedeutet das?
Angenommen ein Retail-Dienstleister bietet Waren in den Bereichen Food, Fashion und Home & Living, also in 3 Shoppingkontexten. Da Kunden in den jeweiligen 3 Shoppingkontexten unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse haben, sollten die Organisationen intern auch kontextabhängig über differenzierte Skills, Prozesse, Strukturen etc. darauf reagieren. Der Retail-Dienstleister sollte sich dann also entlang dieser 3 Shoppingkontexte aufteilen.
Anhand dieser Unterscheidung und der abgeleiteten Unterschiedlichkeit im Organisationsdesign lässt sich erkennen, dass die beiden Geschäftsmodelle „Handel“ und „Plattform“ nicht von ein und derselben Handelsorganisation exekutiert werden sollten, da sonst keines der beiden wirklich gut aus Sicht Organisationsdesign bedient werden kann.
Dieser Fakt lässt sich sehr leicht an den großen Deutschen Automobilfirmen erkennen, die sich vor einigen Jahren als Mobilitätsanbieter aufstellen wollten, ihr eigentliches Geschäftsmodell aber weiterhin betreiben wollten. In diesen Organisationen sollte über das bestehende Organisationsdesign, welches auf Produktanbieter ausgelegt war, das Geschäftsmodell eines Dienstleisters exekutiert werden. Das funktioniert aber nicht, da als Dienstleister eine höhere Interaktion mit den User und Customer Journey im Kontext Mobilität notwendig wird, als es beim Produktanbieter der Fall ist. Und als Dienstleister rückt das eigentliche Produkt, die Autos, in den Hintergrund und der Service in den Fokus. BMW müsste beispielsweise egal sein, ob im Rahmen von Mobilität ein Mercedes oder ein BMW genutzt wird. Ähnlich wie es einem Plattformanbieter im Handel egal sein sollte, welche Produkte welches Händlers über die Plattform ver- und gekauft werden. Der Kunde entscheidet, nicht die Organisation, die ja dann noch als Händler der eigenen Plattform agiert und deshalb die eigenen Produkte beispielsweise in der Ansprache und im Marketing bevorzugt. Das funktioniert nicht.
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