Am liebsten sind mir die Arbeitstage, an denen ich nichts anderes tue, als die Blogbeiträge meiner Kolleg:innen zu lektorieren und mit ihnen zu beratschlagen, wie wir sie für unser Zielpublikum noch relevanter und angenehmer zu lesen machen können. Ich lerne unglaublich viel, habe sehr viele Einblicke in die Arbeit aller anderen und freu mich über jeden neuen Eingang im Blog-Taskboard (kurz Blog-Board).
Aber obwohl der Prozess dank Blog-Board übersichtlich organisiert ist, fingen die Beiträge vor einiger Zeit an, sich zu stauen: einmal in der Spalte Lektorat, dann beim Einarbeiten des Feedbacks durch die Schreibenden, dann wieder bei der finalen Durchsicht und Veröffentlichung. Zu viele Abhängigkeiten, zu wenig Lieferungen und gefühlt lag der Engpass immer bei mir – auch wenn ich mir punktuell Unterstützung von zwei externen Kolleginnen holte. Ich sah zwei Wege:
1. Mehr Kapazität: Wir stellen noch eine:n Lektor:in ein. Die Gefahr ist, dass unser Hub immer größer und unübersichtlicher wird und wir den Blick fürs Unternehmen (bzw. unsere internen Nutzer:innen) verlieren.
2. Dezentralisierung: Die Kolleg:innen übernehmen einen Teil der Lektoratsarbeit selbst.
Ich entschied mich, den zweiten Weg zu gehen: Ich wollte so viel Wissen wie möglich an meine Kolleg:innen weitergeben. Ich hoffe, die Erfahrungen meiner 5 Versuche inspirieren euch, euer Wissen an Kolleg:innen weiterzugeben und eure eigenen (Backoffice-)Prozesse ein wenig aufzumischen.
Vieles am Lektorieren und Korrigieren ist Wiederholung: Sätze vereinfachen, kürzen, umstellen, typische Orthographiefehler ausbessern, Anglizismen eindeutschen usw. Warum sollte ich immer wieder die gleichen Handgriffe durchführen, wenn ich doch genau erklären konnte, wie man es besser macht? Gleich in meinen ersten Wochen bei borisgloger fing an, mit meinem Smartphone kurze Schreibtipp-Videos zu erstellen.
So entsteht ein Schreibtipp-Video: Ich stellte typische Bearbeitungsfälle humorvoll dar, z. B. das Vereinfachen komplexer Sätze. Die Videos sind rund 30 Sekunden lang, um den Fokus und vor allem die Aufmerksamkeit der Kolleg:innen zu halten, und haben eine klare Kernbotschaft.
Dauer: Max. 30 Sekunden (aber sehr viel mehr Vorbereitungszeit)
Ziel: die Kolleg:innen befähigen, typische Verbesserungsarbeiten selbst vorzunehmen
Resultat: Ich bekam positive Rückmeldungen für den Unterhaltungswert meiner Videos. Ob auch die Inhalte (langfristig) hängen geblieben sind, konnte ich nicht beurteilen. Da das Resultat für mich den Aufwand nicht rechtfertigt, schreibe ich nun stattdessen kurze Erklärungs-Posts auf MS Teams. Videos mache ich nur, wenn ich besonders große Lust darauf habe. Für die Zukunft kann ich mir vorstellen, Schreibtipps als Agile Sketches anzufertigen.
Manche Texte brauchen nur ein Korrektorat – Tippfehler u. ä. ausbessern, vielleicht das ein und andere Wording, fertig. Andere sind inhaltlich noch unausgereift oder unfertig, wenn die Schreibenden sich an mich wenden. Dafür biete ich Schreibcoachings an.
So funktioniert ein Schreibcoaching: Ein:e Kolleg:in und ich sitzen uns remote gegenüber. Wir besprechen schwierige Textpassagen, inhaltliche Fragen, Strukturfragen, Nutzen für die Lesenden, Themen für größere Schreibprojekte. Ich stelle Fragen, höre zu, gebe Impulse und Ratschläge.
Dauer: 15-30 Minuten bei Blogbeiträgen, bis zu 50 Minuten bei Whitepapers und Case Studys
Ziele:
Resultate: Die konkret besprochenen Texte werden schneller fertig. Missverständnisse werden geklärt. Ich werde in manche Textarbeiten (v. a. Whitepaper und Case Studys) früher eingebunden und kann entsprechend früher Feedback geben, was den Prozess bis zur Veröffentlichung insgesamt beschleunigt.
Bevor ein Blogbeitrag im Blog-Backlog landet, soll er von ein, zwei Kolleg:innen gegengelesen werden. Aber manchmal zieht sich niemand diese Peer-Review (Pull-Prinzip). Das Problem: Ich wollte und konnte die Peer-Review nicht ersetzen. Glücklicherweise hatte ich dafür eine erprobte Lösung bereit: Während meines Germanistikstudiums traf ich mich wöchentlich mit einem Schreibkreis. Wir lasen uns unsere kreativen Texte vor und übten uns in Textkritik. Ich wusste, dass das Konzept funktioniert und übertrug es auf unser Unternehmen.
So funktioniert der Club der lebenden Dichter:innen: Seit dem Frühjahr veranstalte ich gemeinsam mit meinem Kollegen Steffen Bernd einmal pro Woche einen einstündigen Remote-Schreibkreis. Alle können teilnehmen, ihre Blogbeiträge o. ä. mitbringen oder nur zuhören. Eine Person liest vor, teilt dabei ihren Bildschirm, damit alle anderen mitlesen können. Die anderen hören zu und geben anschließend in Kreisarbeit Feedback.
Dauer: 1 Stunde
Ziele:
Resultate: Wir besprechen zwei bis drei Entwürfe pro Termin. Bei den ersten Treffen hatten wir mehr Zuhörer:innen als Vorlesende. Mittlerweile kommen neben Steffen und mir – wir wechseln uns bei der Moderation ab – hauptsächlich Kolleg:innen, die einen eigenen Text besprechen wollen. Der Mehrwert ist (zumindest kurzfristig) also für die Vorlesenden größer als für die Zuhörenden – mich ausgenommen: Ich lerne vom Feedback der anderen, das sie sowohl als Lesende als auch als Fachkolleg:innen geben. Außerdem sind die vorgelesenen Blogbeiträge mit Hilfe unseres Feedbacks schon einmal „anlektoriert“ und verbessert, bevor ich sie lektoriere.
Als ich zum ersten Mal die Frage „Das versteh ich nicht, was willst du hier sagen?“ von einem Verleger hörte, war ich erstmal gekränkt. Wir arbeiteten an einem Sachbuch. Er saß an der Tastatur, auf dem Bildschirm mein Erstentwurf, ich saß daneben. Ich fing an, zu erklären. Er sagte stopp – und schrieb mit. Ich sah zu, wie er mit Hilfe meiner mündlichen Erklärungen aus den viel zu kompakten Sätzen, die ich zuvor geschrieben hatte, Geschichten machte. Indem ich ihn beobachtete und er seine Änderungen kommentierte, begann ich, zu verstehen, nach welchen Mustern er schrieb und wie ich selbst mit denselben Überlegungen Texte überarbeiten konnte.
Das Live-Lektorat funktioniert nach diesem Vorbild:
Dauer: 50 Minuten
Ziele:
Resultat: Wir haben eine veröffentlichungsbereite Textseite erarbeitet. Die Kolleg:innen sehen, wie ich arbeite, wie sie mir die Arbeit erleichtern und wie sie selbst bessere Texte schreiben können.
Letztendlich geht es ums Liefern. Ich kann noch so viele Angebote machen, am Ende muss ich die Blogbeiträge noch immer lektorieren. Deshalb habe ich für eine Woche meinen Kalender geblockt, um alle Kärtchen im Blog-Board zu bearbeiten. Ich mache drei, vier Beiträge am Tag. Das besonders Motivierende daran ist: Die Kolleg:innen melden sich schnell zurück – nicht alle sofort, aber bei diesen Mengen ist das auch nicht notwendig – und ich kann jeden Tag einen Blogbeitrag in die Spalte „Bereit für die Veröffentlichung“ schieben.
Was hat das mit Dezentralisierung zu tun? Erst mal nicht viel. Ich hoffe aber, dass, wenn der Lektoratsprozess schneller ist, meine Kolleg:innen eher im Schreib-Flow bleiben, Feedback schneller einarbeiten und insgesamt motivierter sind, (noch) mehr zu schreiben. Denn am meisten lernen sie letztendlich durchs Tun.
Dauer: 1 Woche
Ziele:
Resultate: Ich bin zwar (noch) nicht fertig geworden, habe aber genug fertige Blogbeiträge auf Vorrat, um den Redaktionsplan eine Woche im Voraus zu machen. Ich bin mehr im Austausch mit meinen Kolleg:innen. Das schnelle Liefern ist für alle motivierender.
Wie findet ihr meine Versuche, was hättet ihr anders gemacht? Was sind eure eigenen Erfahrungen? Ich freue mich auf eure Kommentare, euer Feedback und eure Fragen.
Ich lese so gut wie alle Blogbeiträge meiner Kolleg:innen und finde darin und im Austausch mit den Autor:innen immer wieder Inspiration, um meine eigenen Prozesse zu verbessern. Zuletzt haben mich diese Beiträge besonders inspiriert:
Warum ich Engpässe liebe! Unternehmen NEU denken #2
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Vorsicht vor dem Anforderungsstau – auf dem Weg zur kundenzentrierten Versicherung
Das agile Backoffice: Wie alles begann
Das agile Backoffice: Abstimmung und Transparenz
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Das agile Backoffice: 5 Versuche, das Lektorat zu dezentralisieren
Titelbild: Hannah Grace, Unsplash