Eliyahu Goldratt, Israelischer Physiker, definiert einen Engpass (Englisch Constraint) als schwächstes Glied eines Systems, welches die Leistungsfähigkeit dieses Systems begrenzt. Ein System kann in diesem Sinne vieles sein, eine Autobahn, ein Projekt, ein Unternehmen, ein Team einer bestimmten Mannschaftssportart etc. Dabei muss per Definition jedes System einen Engpass besitzen. Wäre es nicht so, gäbe es unbegrenztes Wachstum dieses Systems, was aber theoretisch als auch praktisch nicht möglich ist.
In diesem Video wird der Engpass eines Systems „Flasche“ beim Ausgießen des Inhalts sehr anschaulich dargestellt.
Der Begriff „Engpass“ ist oft negativ konnotiert. Mit diesem Beitrag möchte ich zeigen, dass ich Engpässe eher positiv betrachte. Da jedes System einen Engpass haben muss, beginne ich, diesen Engpass als nützlich zu sehen, anstatt ihn eliminieren zu wollen, was ja sowieso nicht gelingen kann. Aber allein der Versuch ist bereits schädlich.
Über Engpässe bin ich in der Lage, mich zu fokussieren, wenn ich beispielsweise ein Unternehmen oder ein Projekt managen möchte.
Ich habe oben angemerkt, dass man die Idee der Engpässe auf viele Arten von Systemen beziehen kann. Ich beziehe mich in diesem Beitrag auf das System „Unternehmen“, um deutlich zu machen, wie Sie Engpässe nutzen können, um Unternehmen bestmöglich zu managen.
Mittels der obigen Graphik, die Sie aus dem ersten Teil dieser Blogpostserie kennen, beobachte ich Unternehmen wie folgt: Ein Unternehmen besteht aus einer Aneinanderreihung voneinander abhängiger Aktivitäten, um Input zu Output zu transformieren und diesen dann durch den Kunden zu Outcome transformieren zu lassen. Innerhalb dieser Kette von Aktivitäten ist der Engpass zu finden, der die Menge des Outputs und Outcomes bestimmt. Möchte ich jetzt also den Output und das Outcome erhöhen, sollte ich mich auf den Engpass fokussieren und diesen managen.
Sie kennen sicherlich das so genannte Pareto-Prinzip, auch als 80-zu-20-Regel bekannt, welches sinngemäß besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht werden. Die verbleibenden 20 Prozent der Ergebnisse erfordern mit 80 Prozent des Gesamtaufwandes die quantitativ meiste Arbeit. Allerdings wird oft vergessen, dass dieses Prinzip nur dann passend ist, wenn ein System hauptsächlich aus voneinander unabhängigen Elementen besteht, was ja bei einem Unternehmen mit seinen Aktivitäten, wie oben angemerkt, nicht der Fall ist.
Sie sollten sich also nicht auf 20 Prozent der Aktivitäten fokussieren, sondern auf den Engpass. Nicht 20 Prozent der Aktivitäten bestimmen maßgeblich den Output/Outcome, sondern weniger als ein Prozent.
Der Engpass bestimmt also den Durchsatz, also wie viel Output/Outcome in einer bestimmten Zeiteinheit produziert wird. Das möchte ich am Beispiel einer Autobahn klar machen: Ziel einer Autobahn ist es, dass in einer bestimmten Zeiteinheit so viele Autos wie möglich vom Ort A zum Ort B gelangen können. Nun ist aber wegen einer Baustelle eine Verengung von drei Spuren auf eine vorhanden. Das ist der Engpass dieser Autobahn zwischen A und B. Warum? Weil an dieser Stelle weniger Autos passieren können als an jeder anderen Stelle der Autobahn zwischen A und B. Die Kapazität dieser Stelle ist am geringsten. Will man nun den Durchsatz der Autobahn erhöhen, also erreichen, dass so viele Autos wie möglich von A nach B gelangen, sollte genau dieser Engpass, die Baustelle, gemanagt werden. Der Fokus der Managementaktivitäten liegt auf der Baustelle und nicht auf anderen Streckenposten zwischen A und B. Denn diese Baustelle bestimmt den Durchsatz der Autobahn zwischen A und B.
Ähnlich geht man nun auch beim Managen von Unternehmen vor. Man fokussiert auf den Engpass bei der Transformation von Input zu Output/Outcome. Schritt 1 besteht also darin, den Engpass zu finden, was nicht immer so einfach zu bewerkstelligen ist. Grundsätzlich kann man bei physisch ausgeprägten Engpässen schauen, vor welcher Aktivität sich die unerledigten Aufgaben stapeln. Diese Aktivität ist dann der Engpass. Beim Beispiel der Autobahn würden sich vor der Baustelle die Autos „stapeln“.
Man kann auch künstlich einen Engpass generieren, den man dann managt, um ihn optimal auszulasten. Engpässe dürfen niemals leerlaufen und stillstehen, denn eine verlorene Minute am Engpass ist eine verlorene Minute beim Generieren des Durchsatzes. Alle anderen Aktivitäten, die nicht zum Engpass gehören, dürfen gar nicht voll ausgelastet sein, da sonst die Wahrscheinlichkeit von einem Stau im System hoch ist. Es würden Bestände aufgebaut werden, die dazu führen, dass der Durchsatz des Systems sinkt. Eine verlorene Minute bei diesen Aktivitäten schlägt nicht sofort auf den Durchsatz durch. Das lässt sich am Beispiel der Autobahn ebenfalls wieder leicht nachvollziehen. Die Aktivitäten, die nicht zum Engpass gehören, müssen allerdings so getaktet sein, dass der Engpass niemals ruht.
Über ein Managen dieses Engpasses managt man den Durchsatz des gesamten Systems. Dabei kann es vorkommen, dass der Engpass zu einer anderen Aktivität wandert. Ist das der Fall – was nicht grundsätzlich wünschenswert ist – ist diese Aktivität eben der neue Engpass und wird in den Fokus genommen.
Eines der obersten Ziele des Managens von Unternehmen über Engpässe ist, Überraschungen aus dem Unternehmen zu nehmen und dieses beim Transformieren von Input zu Output/Outcome stabil am Laufen zu halten, also einen Flow herzustellen. In dem Fall, wo Engpässe, statt gesucht, einfach festgelegt werden, um das System in eine fließende Stabilität zu bringen, also statistische Fluktuation zu minimieren, muss man auch keine große Angst haben, dass das System, und sei es nur kurzfristig, an Durchsatz verliert. Die meisten Unternehmen sind so vollgestopft mit Arbeit und Beständen, dass zwar im System alles in Beschäftigung ist, aber am Ende nicht viel Output/Outcome herauskommt.
Manchmal liegt der Engpass auch außerhalb des Unternehmens, nämlich im Markt. Der Engpass befindet sich in der obigen Graphik zwischen Output und Outcome. Das ist dann der Fall, wenn mehr produziert wird als vom Markt nachgefragt wird. Auf die obige Graphik bezogen wird dann Output nur ungenügend zu Outcome konvertiert. Durchsatz ist also die Kennzahl, die von Input zu Outcome misst, denn erst mit Outcome verdient ein Unternehmen Geld. Bis zum Output wird auf Lager produziert. In diesem Fall liegt der Engpass außerhalb des Wirkbereiches von Unternehmen und kann nicht gemanagt werden. Deshalb muss der Engpass ins Unternehmen zurückgeholt werden. Das ist die Aufgabe von Marketing und Vertrieb.
Es gibt noch viel mehr zu diesen hier aufgeführten Gedanken zu sagen. Allerdings reichen die Zeit und der Platz in diesem Blogpost lange nicht aus, um diesen weiterführenden Gedanken gebührend gerecht zu werden. Daher reiche ich gerne 2 Bücher an, durch die ich mich initial mit dem Gedankengebäude hinter Theory of Constraints (ToC) vertraut gemacht habe, die beiden Businessromanen von Eliyahu Goldratt „Das Ziel“ und „Das Ziel – Teil 2“.
Die ToC ist ein gutes Beispiel dafür, dass man, wenn man anders auf Probleme schaut, auch zu andersartigen Lösungen kommen kann. Goldratt war Physiker und hatte in diesem Sinne keine große Ahnung von BWL, weshalb er Unternehmen anders beobachtet und gedacht hat, als ein:e BWLer:in es tun würde. Meine Hypothese ist, dass ein:e BWLer:in sich wohl schwer getan hätte, auf die Erkenntnisse von ToC zu kommen.
Also suchen Sie doch bei Ihrem nächsten Engagement, egal ob im beruflichen oder privaten Umfeld, nach dem Engpass. Und fangen Sie ebenfalls an, ihn zu lieben. Er wird es Ihnen zurückzahlen.
Transformation, warum gerade jetzt? Unternehmen NEU denken #1
Warum ich Engpässe liebe! Unternehmen NEU denken #2
Warum viele jetzt Plattformen bauen – Unternehmen NEU denken #3
Titelbild: Denys Nevozhai, Unsplash