„Ist ja schön, dass du das so umsetzen willst, aber da mache ich nicht mit“ oder „Das ist nicht meine Entscheidung, das muss unser PO entscheiden“ – hören Sie diese oder ähnliche Aussagen ständig in Ihrem Team? Werden Entscheidungen ständig vertagt, oder wird letztendlich der Product Owner dazu genötigt, über grundsätzliche Fragen der Zusammenarbeit oder der Produktgestaltung zu entscheiden, weil niemand im Team dafür verantwortlich sein will?
Es ist ein Thema, mit dem viele Teams hadern, gerade wenn sie erst kürzlich begonnen haben, agil zu arbeiten: Entscheidungen treffen. Und zwar nicht irgendwie und irgendwelche: Schnell sollen sie getroffen werden, und dann sollen auch noch alle Teammitglieder an einem Strang ziehen, um sie umzusetzen.
Wenn Sie als ScrumMaster das Gefühl haben, dass es Ihrem Team an Commitment zu vermeintlich bereits getroffenen Entscheidungen mangelt, das Team Entscheidungen endlos vor sich her schiebt oder Diskussionen sich im Klein-Klein verlieren, ist dieser Tipp speziell für Sie: Probieren Sie es mal mit Konsent statt Konsens. Der Unterschied? Anstatt alle um Zustimmung zu bitten, geht es nur darum, nicht dagegen zu sein. So können Entscheidungen schnell, aber trotzdem nachhaltig getroffen werden.
Was haben Sie als ScrumMaster davon, Konsententscheidungen in Ihrem Team einzuführen?
Der Konsent verbindet das Beste aus zwei Welten: Entscheidungen werden nicht verschleppt beim Versuch, jeder individuellen Präferenz Rechnung zu tragen, und doch entscheiden alle gemeinsam, nicht nur eine Einzelperson. Als eines der Basisprinzipien der Soziokratie, einem partizipativen Organisationsmodell, bedeutet Konsent „die Abwesenheit von schwerwiegenden Einwänden“.
Die Idee ist eigentlich simpel: In Gruppen (besonders in großen) ist es quasi unmöglich, eine Lösung zu finden, die wirklich alle zu 100 Prozent und bestenfalls auch noch aus denselben Beweggründen unterstützen. Deswegen ist das überhaupt nicht das Ziel einer Konsententscheidung. Es wird also nicht gefragt, ob alle die Idee gut finden, sondern stattdessen fragt sich jedes Teammitglied: „Kann ich mit Blick auf unser gemeinsames Ziel diese Entscheidung mittragen und mit ihren Konsequenzen leben?“ In einer Organisation, die ich begleiten durfte, wurde die Frage sogar zusammengedampft auf: „Schadet es uns, wenn wir das tun?“
Der Unterschied ist klar: Plötzlich geht es nicht mehr darum, alle Details einer Lösung gut zu finden. Sie muss nur noch für den jetzigen Kontext geeignet und machbar, also sicher genug zum Ausprobieren, sein. Nicht alle müssen „Ja“ sagen, es darf nur niemand einen schwerwiegenden Einwand haben. Dadurch bleiben Freiheiten für die Ausgestaltung einer Lösung offen, die dennoch innerhalb eines für alle Beteiligten verbindlichen Rahmens liegt.
Um eine bindende Entscheidung treffen zu können, werden möglichst alle Personen, die an dieser beteiligt sein sollten, zusammengeholt. Wer nicht kann, lässt sich vertreten oder konsentiert automatisch. Bei einem Scrum-Team besteht dieser Personenkreis beispielsweise meist aus dem Dev-Team und dem Product Owner, je nach Entscheidung könnten auch Stakeholder hinzugeholt werden. Alle Anwesenden sitzen im (virtuellen) Kreis.
Sicherlich erfordert es etwas Übung, tatsächlich nur danach zu entscheiden, ob etwas einem Team schadet oder es am Weiterarbeiten hindert, und dabei auszublenden, ob man etwas persönlich gut findet oder nicht. In meiner Erfahrung fällt es den Teammitglieder vor allem anfangs schwer, sich auf das Experimentieren einzulassen und sich darauf zu konzentrieren, ob die Entscheidung gut genug für jetzt ist. Daher hilft es, bei der Entscheidungsfindung nochmal zu betonen, was genau ein schwerwiegender Einwand bedeutet:
Wichtig: Ein schwerwiegender Einwand ist kein Veto! Er dient dazu, wichtige Argumente in die Lösung zu integrieren und diese dadurch zu verbessern. Für Einwände gilt daher eine Art Prime Directive: Auch wenn ein Einwand nicht zwingend für jedes Teammitglied nachvollziehbar ist, wird angenommen, dass die Person, die ihn äußert, damit das Teamziel im Auge hat. Es geht also nicht darum, die Person zu überzeugen, doch noch ihren Konsent zum bestehenden Vorschlag geben, sondern anhand ihrer Argumente eine bessere Vorgehensweise zu finden. Danach wird der verbesserte Vorschlag erneut zum Konsent gestellt, so lange bis das ganze Team diesen konsentieren kann.
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