Der Tratsch in der Kaffeeküche. Das gemeinsame Mittagessen. Ein kühles Feierabendgetränk. Spontane Zusammenarbeit am Flipchart. Sowohl für interne Agile Coaches als auch für externe Beraterinnen und Berater sind diese kurzen formlosen Austauschformate nicht nur Vergnügen, sondern bieten die Chance, das Unternehmen besser kennenzulernen und ein Gefühl für die aktuellen Bedürfnisse und Ereignisse zu erhalten. Was aber, wenn die Expertinnen und Experten nun nur auf Distanz – remote – wirken können?
Viele Unternehmen suchen gerade Unterstützung dabei, ihre Arbeitsmodelle zu modernisieren und leiten agile Transformationen mit Unterstützung von externen oder internen Beraterinnen und Beratern ein. Im vierten Teil dieser Blogserie möchten wir unsere Erkenntnisse dazu teilen, wie externe Experten und Expertinnen auch remote die Kultur des Unternehmens besser greifen können, um passende Lösungen zu finden.
Die Beratung und Begleitung von Change auf Distanz sind in wesentlichen Punkten anders. Im ersten Teil #1 Neue Rollen und Verantwortlichkeiten haben wir darüber berichtet, was man bei der Remote-Einführung und dem Befähigen für neue Rollen beachten sollte, im zweiten und dritten Blogartikel haben wir uns mit der Fragestellung beschäftigt, wie man in der agilen Transformation neue Arbeitsmodelle mit Meetingstrukturen aufsetzt und praktische Tipps zu „Handwerkszeug“ (Artefakten) mitgegeben. Im nächsten Teil geht es um die Fähigkeiten (Skills), die Beraterinnen und Berater im Remote-Modus besonders brauchen.
Die Begleitung von Transformationen und die Implementierung neuer Arbeitsmodelle funktioniert nur, wenn der kulturelle Rahmen verstanden wird, in dem der Wandel stattfinden soll. Vor allem ungeschriebene Gos und No-Gos des miteinander Arbeitens erfährt man über den sozialen Austausch. All das sind Aspekte, die für Externe wichtig sind, um das Unternehmen bedarfsgerecht beraten zu können. Durch die Corona-Krise sind aber diese Austauschformate auf der Beziehungsebene vermehrt weggefallen. Berater und Beraterinnen müssen jetzt umdenken und neue Wege finden, um hinter die Fassaden schauen zu können.
Durch das remote Arbeiten gibt es nur noch eine eingeschränkte Plattform, um Kultur zu erleben. Neben Chats via MS Teams oder anderen sind allen voran die Videokonferenzen das führende Medium, um mit Kollegen und Kolleginnen in Kontakt zu kommen. Sind dort die Kameras aus, gibt es noch nicht einmal mehr die Möglichkeit, Gesichtsreaktionen auf unterschiedliche Redebeiträge zu beobachten. Noch dazu sind die Informationen, welche die Externen in den Online-Meetings erhalten, zumeist vom inhaltlichen Fokus und vom festgesetzten Zeitrahmen beschränkt.
Ein Gespür für die Kultur des Unternehmens zu bekommen und zwischenmenschliche Beziehungen und unausgesprochene Bedürfnisse zu erkennen, ist für Agile Coaches, Beraterinnen und Berater remote somit eine größere Herausforderung. Insbesondere, wenn Transformationsprojekte im Remote-Modus gestartet wurden und ein persönliches Kennenlernen noch nie stattgefunden hat, müssen sie die zeitlich und zahlenmäßig begrenzten Meetings auch nutzen, um zwischen den Zeilen zu lesen und die Kulturaspekte zu verstehen. Darauf bauen sie ihre Beratungsleistung auf. Das hilft den Beraterinnen und Beratern sowie den Mitarbeitenden beim Kunden dabei, die neuen Arbeitsmodelle so zu integrieren, dass sie auch funktionieren und ihren Zweck erfüllen.
Durch das Arbeiten im Homeoffice fällt beispielsweise das gemeinsame Mittagessen weg, bei dem Beraterinnen und Berater normalerweise wichtige Kontakte knüpfen und die Kultur des Unternehmens erleben würden. Die Remote-Alternative ist, neben den formellen Meetings auch bewusst informelle Austauschmöglichkeiten zu schaffen.
Wir haben eine Großbank beraten, bei der das Mittagessen in der Kantine ein wichtiger Aspekt der Unternehmens-DNA war. Dort fand das eigentliche Business statt. Es war die alltägliche Gelegenheit, um neue Kontakte im Unternehmen zu knüpfen, bereichsübergreifende Informationen auszutauschen und Entscheidungen vorzubereiten. Vor Corona wäre das Mittagessen also die perfekte Plattform für uns Beraterinnen und Berater gewesen, um uns im Unternehmen zu vernetzen und die Kultur des Unternehmens zu spüren. Da von der Bank kein offizielles Remote-Mittagessen angeboten wurde, wurden wir selbst aktiv, um uns zu vernetzen. Das war insbesondere deswegen wichtig, weil es um die agile Transformation einer gesamten Abteilung ging. Wir wollten erspüren, wie es den Mitarbeitenden mit dem Wandel geht, wie sie sich fühlen und wie die allgemeine Haltung zur Transformation ist, um die geeigneten Maßnahmen ableiten zu können und wieder ein gewohntes Umfeld für Entscheidungsprozesse zu schaffen.
Wir haben aber nicht einfach das Mittagessen remote umgesetzt. Eine 1:1-Übertragung von dem, was vor Ort funktioniert, in den Remote-Kontext, ist unserer Erfahrung nach wenig erfolgversprechend. Stattdessen haben wir unterschiedliche Austauschformate entwickelt, mit denen wir testen, wie die Mitarbeitenden in der Abteilung und im Unternehmen darauf reagieren. So können wir die Formate an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden und an ihre Affinität zur digitalen Mediennutzung anpassen. Wir machen gemeinsam virtuelle Spaziergänge, ein Unternehmensfrühstück oder virtuelle Kaffeepausen über MS Teams.
Während bei anderen Bankkunden virtuelle Kaffeepausen gut angenommen und dafür genutzt wurden, sich über Privates und Geschäftliches auszutauschen, wurden sie in dieser Bank von den Mitarbeitenden kaum genutzt, weil ihnen ihrer Meinung nach die Zeit dafür fehlte. Anstatt noch weitere Formate auszuprobieren, für die sich die Mitarbeitenden erst Zeit freischaufeln müssten, haben wir uns dafür entschieden, in den Meetings und Workshops Sequenzen einzuführen, in denen wir die aktuelle Stimmungslage abfragten und Raum boten, damit Mitarbeitende sich informeller über das Tagesgeschäft austauschen konnten. Hierfür eignen sich Abfragen über Mentimeter, Check-ins und Check-outs, an denen alle teilnehmen und ihre Meinung zu einer gestellten Frage abgegeben können, offene Diskussionsrunden oder Elemente aus Retrospektiven, wie die Fragen: Was fehlt mir zu diesem Sachverhalt noch? Was ist mir noch unklar? Was hat sich zum Positiven verändert?
Diese Abfragen innerhalb von formellen Meetings ersetzen zwar keinen Kaffeeklatsch, aber wir konnten so einen direkten Einblick in die Gefühlswelt der Mitarbeitenden bekommen und unsere weiteren Transformationsvorhaben darauf aufbauen. Zusätzlich haben wir „offene Sprechstunden“ über MS Teams angeboten. In diesen konnten Mitarbeitende sich an uns Beraterinnen und Berater wenden, wenn sie inhaltliche Fragen zur Transformation hatten oder wenn sie ihre Meinung äußern wollten. Dadurch hatten die Mitarbeitenden eine Einladung unsererseits in ihren Terminkalendern stehen, an denen sie teilnehmen konnten, wenn sie wollten. Das kam sehr gut an. Die Sprechstunden wurden als offizielle, formelle Meetings angesehen, welche keine Zeitverschwendung sind, nichtsdestotrotz glichen manche Sprechstunden einer gemütlichen Kaffeerunde. So hatten wir eine gute Vernetzungsmöglichkeit geschaffen.
Das virtuelle Vernetzen und die Durchführung von Remote-Workshops haben uns gezeigt, dass von uns Beraterinnen und Beratern auch ganz andere Skills als die klassischen Beratungsfähigkeiten verlangt werden. Welche das sind und wie wir diese umsetzen, erfahren Sie in unserem nächsten Blogartikel.
Was sind Ihre Erfahrungen in der Einführung oder Begleitung von Transformationen im Remote-Modus? Schreiben Sie uns gerne Ihre Gedanken und Kommentare.
1. Teil der Reihe: “Transformations-Beratung im Remote-Modus #1: neue Rollen & Verantwortlichkeiten vermitteln“
2. Teil: “Transformationsberatung im Remote-Modus #2: Meetingstrukturen einführen“
3. Teil: "Transformationsberatung im Remote-Modus #3: Artefakte einführen"
4. Teil: "Transformationsberatung im Remote-Modus #4: die Unternehmenskultur verstehen"
5. Teil: "Transformationsberatung im Remote-Modus #5: der perfekte Auftritt"