Erster Job, erste Wohnung, der erste Autokauf, Gehalt, Steuern und Schulden – wenn wir uns fragen, welche Auswirkungen unsere finanziellen Entscheidungen auf unser Umfeld, unsere Gesellschaft und unseren Planeten haben, beschäftigen wir uns zwangsläufig mit dem Thema Nachhaltigkeit. Das geht auch jungen Menschen, die gerade in ihr Leben starten nicht anders.
Welchen Einfluss haben wir darauf und was können wir beitragen, um unsere Finanzbildung nachhaltig zu gestalten? Diesen Fragen ging Annika Heek, Lehrerin am Helmholtz Gymnasium in Essen, mit ihrer Klasse 9e im Politikunterricht auf die Spur.
In einem Gemeinschaftsprojekt mit Unterstützung der GLS Bank nutzte Annika die Lernmethode Scrum4Schools für das Thema „Agile, nachhaltige Finanzbildung“. Wir haben das Projekt begleitet und Expert:innen vermittelt.
Wie Annika das Projekt umgesetzt hat, welche Erfahrungen sie gemacht hat, was sie überrascht und gelernt hat, berichtet sie uns im Interview.
Hallo Annika, erst mal vielen Dank, dass du so kurz vor Ende des letzten Schuljahres den Mut hattest, eine neue Lernmethode einzuführen. Wie bist du das Thema „Agile, nachhaltige Finanzbildung“ mit Scrum4Schools angegangen?
Annika: Zu Beginn habe ich mit einer Kollegin die Fortbildung zur Methodik besucht und dann relativ schnell beschlossen, dass ich das Projekt einfach mal ausprobieren möchte.
Danach habe ich mich zunächst selbst ins Thema eingelesen und Kontakt zur GLS Bank aufgenommen, um für die Schüler:innen Ansprechpartner:innen im Back-Up zu haben.
Besonders viel Zeit habe ich mir für die Erstellung des Erkundungsauftrags genommen und viele Gedanken darauf verwendet, damit dieser stimmig ist und möglichst alle Fragen vorab geklärt sind. Das Projekt war aufgrund äußerer Sachzwänge zeitlich sehr ambitioniert angelegt, weshalb ich beim Zeitplan noch einmal nachbessern musste. Die Materialien zur Methodik haben mir dabei geholfen, da ich mich daran „entlanghangeln“ konnte. Hier finde ich den Gedanken des Teilens von Scrum4Schools wirklich toll, da im “regulären” Schulsystem oft eine Mentalität von Einzelkämpfer:innen vorherrscht und es noch keine flächendeckende Kultur des Teilens von Materialien gibt.
In Zukunft kann ich mir vorstellen, das Projekt komplett digital anzugehen, da wir in Kürze eine 1:1 Ausstattung mit Tablets haben werden. Geplant ist, dass die Schüler:innen dann auch über diverse Apps kollaborativ arbeiten. Eine Gruppe hat hier bereits eigenständig "Trello" ausprobiert und war davon sehr begeistert. Ich selbst bin Fan von analogem Arbeiten und großer Visualisierung.
Was war für dich als Lehrerin anders als im „normalen“ Unterricht?
Annika: Insgesamt gab es deutlich weniger Plenumsphasen und Gespräche im Klassenverband. Da ich aber schon immer gerne Projektunterricht gemacht habe, der viele Freiheiten lässt, gab es diesbezüglich keine großen Unterschiede zu meinem sonstigen Politikunterricht. Ein großer Unterschied war die Präsentationen der Zwischenergebnisse und die Tatsache, dass quasi alle Gruppen wussten, woran die anderen Gruppen arbeiten. Insgesamt hatten alle Lust, dafür zu sorgen, dass alle Ergebnisse gut werden.
Für mich persönlich war es an der Stelle schwer auszuhalten, dass eine Gruppe ganz lange überhaupt nicht gearbeitet hat und nichts präsentieren konnte. Da die Zwischenergebnisse aber nicht bewertet wurden, musste ich da durch. Insgesamt habe ich – als durchaus sehr notenkritische Lehrerin – gemerkt, wie sehr ich mich in den letzten sechs Jahren doch in diesem System eingerichtet habe und wie trainiert sowohl die Schüler:innen als auch ich auf Benotung sind.
Wie war es für dich, in die Rolle des Lerncoaches zu schlüpfen?
Annika: Ich habe mich mit der Rolle des Lerncoaches insgesamt sehr wohlgefühlt, da ich Unterricht mag, in dem die Schüler:innen eigenständig und relativ frei arbeiten. Anders als bei bisherigem Projektunterricht, musste ich mich aber disziplinieren, nicht gleich auf jede Frage mit einer Antwort zu reagieren, sondern darauf zu bestehen, dass der/die Strukturheld:in und die Gruppe versuchen das Problem alleine zu lösen.
Wie haben die Schüler:innen in Teams gearbeitet? Was konntest du beobachten?
Annika: Die Schüler:innen haben sehr gut zusammengearbeitet. Eine Gruppe hat durch die Verwendung der Trello-App noch ein wenig strukturierter gearbeitet. Den anderen Gruppen fiel die Visualisierung des Prozesses noch etwas schwer.
Auch an die Phasen der Rückmeldung haben sich die Schüler:innen zunehmend mehr gewöhnt. Am Anfang waren sie noch etwas zurückhaltend.
Konnten die Schüler:innen die Methode gut umsetzen?
Annika: Die Ergebnisse sprechen da meiner Meinung nach für sich. Die Schüler:innen sind in Teilen über sich hinausgewachsen. Besonders das Ball-Point-Game zu Beginn hat dafür gesorgt, dass alle die Methodik verstanden haben. Die Schüler:innen haben immer wieder auf diese Einstiegsübung Bezug genommen.
(Redaktionelle Anmerkung: Das Ball-Point-Game ist ein agiles Kooperationsspiel, das den Prozess der Teamarbeit in wiederkehrenden Iterationen mit Feedbackschleifen erlebbar macht.)
Was hat dich überrascht?
Annika Heek: Überrascht haben mich die technischen Fertigkeiten meiner Schüler:innen und die Tatsache, dass einige unglaublich viele Stunden außerhalb des Unterrichts investiert haben.
Du hast uns erzählt, dass ein Schüler sogar Scrum ins Unternehmen brachte, nachdem er das Projekt in der Schule gemacht hat. Erzähl uns gerne, was da passiert ist.
Annika: In seinem Praktikum hat besagter Schüler eine Langzeitaufgabe bekommen und hat wohl sehr strukturiert gearbeitet und bestimmte Schritte von Scrum – bewusst oder unbewusst – angewendet. Der Praktikumsanleiter war darüber sehr überrascht und hat den Schüler gefragt, woher er diese Arbeitsweise kennt, beispielsweise das Präsentieren von Zwischenergebnissen. Der Schüler hat dann vom Scrum-Projekt berichtet.
Möchtest du das Projekt im nächsten Schuljahr erneut anbieten?
Annika: Ich habe auf jeden Fall vor, das Projekt noch einmal durchzuführen, habe allerdings aktuell keinen Kurs, in dem es gut passt. Die Methode Scrum4Schools möchte ich aber auf jeden Fall in meinem zweiten Unterrichtsfach zu einem anderen Thema anwenden, da ich von der Arbeitsweise sehr überzeugt bin.
Was hast du persönlich gelernt?
Annika: Mich von den Ergebnissen der Schüler:innen überraschen zu lassen und sehr viel Freiraum zu lassen, um intrinsische Motivation zu fördern.
Was ist dein Resümee?
Annika: Ich bin absolut überzeugt von der Scrum4Schools-Methode und finde auch das Thema nachhaltige Finanzplanung spannend und sehr geeignet, um dazu mit Schüler:innen zu arbeiten. Das Thema hat für Motivation gesorgt, die auch über den Unterricht hinausging.
Da Schule – auch die allgemeinbildenden Gymnasien – u.a. auf die Arbeitswelt vorbereiten sollen, ist es meiner Meinung nach sinnvoll, Impulse aus dieser Welt (z. B. die Scrum-Methode) in die Schule zu holen. Auch angesichts aktueller und zukünftiger Herausforderungen wie Distanzunterricht, weniger Lehrkräfte oder Digitalisierung, wird Projektunterricht wichtiger werden.
Ich kann jeder Lehrkraft nur dazu raten, sich ebenfalls an ein Scrum-Projekt heranzutrauen. Bei uns in der Sowi-/Politikfachschaft werde ich versuchen, das Projekt “Agile, nachhaltige Finanzplanung” zu etablieren. Sinnvoll fände ich an dieser Stelle auch eine engere Zusammenarbeit mit einer nachhaltigen Bank, um hier die Expertise und die Relevanz in der Realität, in die Schule zu holen.
Habt Ihr auch Interesse, euch mit dem Thema „Agile, nachhaltige Finanzbildung“ in der Schule zu beschäftigen? Oder wollt ihr ein eigenes Thema mit der Lernmethode Scrum4Schools im Unterricht umsetzen? Dann schreibt uns eine E-Mail an scrum4schools@borisgloger.com