Um jeden Job in einen guten Job zu verwandeln, müsse die Menschheit jetzt etwas Besseres als Bürokratie entwickeln, soweit die These der Autoren Michele Zanini und Gary Hamel. Sie beschreiben in ihrem Buch „Humanocracy“ zwei Ausprägungen von Unternehmen: bürokratische Unternehmen, die sich nicht mehr bewegen können und Unternehmen, die sich auf neuen Grundsätzen gegründet oder neu erfunden haben. Der Fokus dieser letzteren liegt auf „Humanocracy“, das auf die Erschaffung einer Umwelt abzielt, die Menschen inspiriert, ihr Bestes zu geben.
Ein Unternehmen, das diese Herausforderung gut gemeistert hat, ist Nucor. Nucor produziert Stahl. Man könnte annehmen, das Unternehmen sei starr hierarchisch organisiert, denn ein klassisches produzierendes Gewerbe würde vermutlich nicht das Wissen der Mitarbeitenden in den Fokus stellen. Nucor ist anders. Es setzt auf ein modernes, dezentrales und unbürokratisches Management-Modell, das auf den fünf Säulen Kompetenz, Commitment, Selbstvertrauen, Kreativität und soziale Netzwerke steht.
Nucor setzt darauf, Kreativität richtig zu belohnen, nämlich die Kreativität, mit der die Mitarbeitenden die Produktivität ihres Teams steigern. Neben dem fixen Einkommensanteil erhalten die Mitarbeitenden einen ergebnisorientiert Teil und verdienen so im Schnitt 25 % mehr als ihre Fachgenossinnen und -genossen in vergleichbaren Unternehmen. Dank durchgehender und gut formulierter Team-Ziele gibt es eine gemeinsame Verantwortung für Produktivität und Wachstum. Und mit Hilfe von Nucors Echtzeitberichtswesen kann diese gesteigerte Produktivität gezielt bezahlt werden.
Nucor setzt in der Säule Kompetenz darauf, Expertise zu kultivieren. Um dieses Ziel zu erreichen, liegt ein Fokus auf dem persönlichen Wachstum der Mitarbeitenden. Mich beeindruckte, dass jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin in unternehmerischem Denken geschult wurde. Dieses lernten sie beispielsweise bei Cross-Trainings in anderen Berufen. Zudem setzt Nucor auf eine langfristige und selektive Einstellungspolitik.
Soziale Netzwerke bilden die dritte Säule. Was hier auffällt, ist, dass die einzelnen Entitäten, also die einzelnen Niederlassungen, sich nicht gegenseitig bekriegen, sondern transparent Geschäftsmöglichkeiten teilen und so auch einen gesunden, einander befruchtenden Wettbewerb im Unternehmen fördern. Durch gegenseitige Besuche, den sogenannten „best-marking trips“, lernen die Mitarbeitenden voneinander, schließen wertvolle Verbindungen und können so auch spontane Netzwerke bilden, die sich auf einzelne Herausforderungen stürzen.
Die vierte Säule ist das Commitment unter der Devise, Vertrauen zu schaffen. Das Unternehmen brüstet sich mit sehr hoher Job-Sicherheit. Die Mitarbeitenden sind durch die bereits erwähnten Echtzeitberichte zu jedem Zeitpunkt über Nucors Rentabilität informiert. Dadurch können eventuelle Auftragslöcher mit dem Konsumieren von Überstunden selbstgesteuert ausgeglichen werden. Das schafft Vertrauen. Ebenso wird auf Statussymbole verzichtet. Im Buch wird ein Konkurrent beschrieben, dessen Chefs goldene Helme bei der Arbeit tragen. Solche und andere Statussymbole existieren bei Nucor nicht. Teammanager werden nicht von oben bestimmt, sondern vom Team gewählt. Ein weiterer Baustein für die vertrauensvolle Zusammenarbeit ist die Aufteilung allen Gewinns unter allen Mitarbeitenden. Das ist ein ziemlich mutiger Schritt und sorgt für ein großes Commitment unter den Mitarbeitenden.
Mit der fünften Säule „Selbstvertrauen, um zu handeln“ werden Freiheiten für die Selbstorganisation der Mitarbeitenden ausgesprochen. So ist die Planung und die professionelle Entwicklung der Teammitglieder Sache der Teams, genauso wie die Ausgaben für Anschaffungen. Die Teams sind ebenfalls bei der Suche und bei der Installation neuer Technologien federführend. So setzt Nucor auf kontinuierliche Forschung und Entwicklung an allen Standorten, statt in einem dedizierten Team. Feedback und Bestätigung für ihre Entscheidungen holen sich die einzelnen Teams durch engen und durchgehenden Kundenkontakt.
Abschließend betrachten die Autoren vier Aspekte aus dem Humanocracy-Modell dazu, wie Arbeit und Führung organisiert wird:
1. Keine Schichten: Bei Nucor gibt es keine hierarchischen Treppenmodelle. Leadership muss man sich erst verdienen, denn man wird vom Team gewählt. Diese Herangehensweise beschreiben die Autoren mit dem „There is a leader in every chair“-Mindset.
2. Keine Standardisierung: Statt auf flächendeckende Standardisierung zu setzen, finden die Niederlassungen ihre eigenen Prozesse und halten die Qualität mit Hilfe von Echtzeit-Leistungsberichten.
3. Keine statische Struktur: Statt zentral zu planen und zu organisieren, gibt es organische und spontane Koordination dann, wenn sie nötig ist.
4. Keine Spezialisierung: Als letzte Marke für Humanocracy setzt Nucor auf crossfunktionale Teams mit Schwerpunkten statt Spezialisierung.
Nucor setzt mit der eigenen Organisation ein Zeichen dafür, dass Selbstorganisation in jeder Branche funktioniert und gibt auch konkrete Handlungsoptionen, wie sie ausgestaltet werden kann. Obwohl ich sehr beeindruckt bin von dem hohen Grad der Autonomie, hinterlässt die flexible Lohngestaltung einen Nachgeschmack bei mir. Ich muss aber zugeben, dass es nur konsequent von Nucor ist, den Gedanken der Produktivität als Teamverantwortung zu Ende zu denken. Was denkst du? Lass uns gerne diskutieren.
Ich scribble übrigens nicht nur für mich selbst und meine Kunden, sondern gebe liebend gerne auch mein Agile-Sketching-Wissen an andere weiter. Wenn du selbst mit einfachen Zeichnung das agile Skizzieren erlernen möchtest, dann melde dich gerne zu einem unserer Remote-Trainings für Agile Sketching an. Du brauchst keine Vorerfahrung.
Titelbild: © Nucor
Agile Sketches: Lucia Stiglmaier