Ja, es gibt sie, die Scaled Agile Frameworks - also die Modelle, Blaupausen und Ideen, wie man mit Scrum und Kanban ganze Organisationen agilisiert. Ich selbst habe die ersten Ergebnisse dazu auf Konferenzen erzählt und u.a. 2005 in einer verteilten Organisation das Konzept der Chief Product Owner, Chief ScrumMaster, der Product Owner Teams, des Company Backlogs vielleicht nicht als Erster, aber doch zeitgleich mit den damals gerade ablaufenden Entwicklungen in den USA ausgearbeitet. Doch das waren immer Schablonen. Ich bin nie davon ausgegangen, dass man in einer großen Organisation einfach ein Schema F einführen kann und schon ist man fertig. Wäre das so, hätte ich nicht das Buch "Das Scrum-Prinzip" geschrieben, in dem ich zeige, dass jede große Veränderung nur entlang der Widerstände in einer Organisation geschehen kann.Doch heute wollen viele noch stärker als vor einigen Jahren den Quick-Fix. Es soll von oben Agilität ausgerollt werden. Damit tut man der Organisation und den Menschen in der Organisation Gewalt an. Versuchen wir doch mal, die Blaupausen nur als das zu sehen, was sie sein können: Wegweiser. Wie wäre es, neben diesen Wegweisern noch ein paar Prinzipien einzuführen, die wie von selbst zur Agilität führen? Prinzipien, die zwar nicht auf die Schnelle, aber sicher aus einer Organisation eine agile Organisation machen?
Zunächst: Wer Agilität einführen will, muss führen. Also eine Vision ausgeben, sich selbst dabei im Klaren sein, warum man das will, und dann voller Begeisterung selbst loslaufen - ohne zu schauen, ob noch jemand mitkommt. Diese Lektion habe ich von meinem Pferd Rubiano gelernt. Wenn ich mich umdrehe, schauen will, ob er mitkommt, bleibt er stehen. Was logisch ist, denn ich sage ihm ja: "Bleib stehen."Genauso ist es mit der eigenen Organisation: Wer losläuft, der muss sich sicher sein, dass die anderen mitkommen werden. Und wie ist man sich dessen sicher? Es gibt ein simples Prinzip, auch das hat mir mein Pferd beigebracht: Ein Pferd läuft immer freiwillig mit. Probiert es aus! Versucht doch mal ein Pferd aufzuhalten, dass beschlossen hat, in eine andere Richtung zu gehen als ihr. 500 kg bewegte Masse hält man nicht so einfach auf. Jedenfalls nicht mit einem Führstrick.Genau das Gleiche - und das meine ich wirklich so - erlebe ich in allen Organisationen, mit denen wir arbeiten, und ich erlebe es in meinem eigenen kleinen Unternehmen. Kollegen gehen mit, wenn sie wollen. Wenn sie sich selbst in die Richtung bewegen wollen, in die ich führe. Und ja - ich führe. Meine Kunden, meine Coachees und meine Kollegen. Jeder Facilitator mag das bestreiten, aber sogar er oder sie führt - immer. Denn der, der den Überblick behält und den Kontext steuert, der führt. Aber der entscheidende Aspekt ist: Zu diesem Prinzip der Führung gehört Freiwilligkeit. Sich dessen wieder klar zu werden ist der erste Schritt zu jeder gelungenen Veränderung hin zu einer agilen Organisation.Das ist nicht einfach. Ich kann euch dazu nur empfehlen, "Turn the Ship Around" von L. David Marquet zu lesen. In diesem wundervollen Buch sagt Marquet immer wieder, dass es ihm schwer fällt, seine eigenen Überzeugungen zu leben, denn sie liegen quer zu all dem, was wir in der Arbeitswelt der letzten Jahrzehnte gelernt haben. Rückfälle sind also vorprogramiert - na und. Zur agilen Organisation gibt es keinen Weg ohne Sackgassen und Umwege. Wichtig ist das Loslaufen, das Ziel vielleicht vor Augen.