Im Frühjahr 2012 hatte der Institutsvorstand meines – damals noch zukünftigen – Master-Studienganges einen vollen Hörsaal mit einem einzigen Satz eingefangen: Er sagte uns, dass die Zeiten der 30-jährigen Firmenjubiläen vorbei wären und jeder von uns, so wie wir hier sitzen, statisch gesehen noch etwa 12 bis 14 Positionen bekleiden wird. Auch wenn unternehmensinterne Beförderungen hier inkludiert sind, klingt das immer noch nach einer stattlichen Zahl an Arbeitgebern, Teams und neuen Aufgaben. Mit diesem Gedanken der Volatilität sind sich verändernde Organisationen heute konfrontiert: Mitarbeiter – die folglich kürzer in Teams oder Organisationen bleiben – fordern im Zuge dieses organisatorischen Wandels beispielsweise Empowerment. Zudem neigen moderne Management-Ansätze wie Scrum zu einer Reduktion von Bürokratie und postulieren auf einmal, dass angeblich auch weniger - gerüchteweise sogar gar nichts - dokumentiert wird. Wenden wir unseren Blick nach außen, stellen wir auch noch fest, dass unser Wettbewerbsumfeld kompetitiver und globaler wird. Das alles muss für Manager per se noch kein Grund für Kopfschmerzen sein. Sie sollten es aber als ernstes Zeichen sehen, dass ein kontinuierlicher Wandel stattfindet und dass es nun an der Zeit ist, ihr Selbstverständnis zu überdenken. Machen wir uns dazu spätestens an dieser Stelle mit der Tatsache vertraut, dass Erfolg im 21. Jahrhundert kein Ergebnis der systemisierten Steuerung bildungsferner Massen durch eine geschlossene Führungskaste ist und per definitionem im Rahmen einer Befehlskette funktionieren muss.
Der hohe Wissensstand und das persönliche Interesse von Mitarbeitern erlauben es Managern heute, Verantwortung in die Hände von Experten zu legen. Experten, die sich über den liberalisierten Zugang zu Wissen in Fachthemen einarbeiten oder bewegen können. Special Interest Blogs und Foren erlauben es affinen Spezialisten, ihren Usern in Fragen der Technologie und somit im Bezug auf Lösungsansätze mehrere Schritte voraus zu sein. Hat das Management, das sich auf Strategie und Zahlen fokussiert, dann überhaupt noch einen legitimen Anspruch darauf, besser zu wissen, was „State of the Art“ ist als die Spezialisten des Development Teams? Ist die Befehlskette aufrecht zu erhalten? Eher unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Liegt die Entscheidungsgewalt auf höheren Ebenen, die wie gesagt einen anderen Fokus und Wissensstand haben, laufen wir Gefahr, Unverständnis, Neid, Demotivation oder Ablehnung aufkommen zu lassen.Man kann ein ganzes Buch darüber schreiben, warum auch Selbstorganisation braucht Führung und woran sich diese orientieren sollte. Die Aufgabe des Managements liegt heute aber auf keinen Fall mehr darin, Menschen zu sagen, was sie wie zu erledigen haben, sondern den Rahmen für ein optimales Arbeitsumfeld vorzugeben. Diese Realität fordert von Managern eine neue Eigenschaft: die Fähigkeit zu vertrauen. Vertrauen in Wissen und Leistungswillen der Mitarbeiter. Ja, es fällt uns oft schwer, Menschen zu vertrauen. Nein, die angesprochene Volatilität macht es nicht leichter. Die besonders hoch hängenden Früchte schmecken dafür am besten: Vertrauen und Empowerment sind wichtige Grundlagen für produktzentrierte Teams, die sich selbst und ihre Leistung weiterentwickeln können.
Ein Nachsatz zum allgemeinen Verständnis beziehungsweise zur Beruhigung der Management-Hardliner: Obwohl wir den Anspruch auf Vertrauen stellen, vergessen wir nicht auf die Verantwortung des Managers gegenüber Shareholdern oder dem Gesetz! Vertrauen, weniger Dokumentation und fehlender unmittelbarer hierarchischer Einfluss bedeuten nicht, dass dem Management Entscheidungsgrundlagen entzogen werden. Durch die Transparenz und die Priorisierung erfolgskritischer Elemente, wie den ROI, denen sich Scrum verschrieben hat, erhält das Management (noch) regelmäßig(er) erforderliche Informationen.Ja, Vertrauen kann Bauchweh verursachen; aber es lässt sich begründen und legitimieren, im äußersten Fall auch wieder problemlos entziehen. Ultimative Kontrolle hat in einem dynamischem Wirtschaftsumfeld als Managementparadigma ausgedient. Wenn das Vertrauen des Managements in modernen Management-Methoden wie Scrum belohnt wird, erspart es uns zum Beispiel eine Erkenntnis aus dem klassischen Projektmanagement: Dass ein Projekt mangels regelmäßiger Entscheidungsgrundlagen unkontrolliert „too big to fail“ wird – und spätestens zu diesem Zeitpunkt wären früher aus den Bauchschmerzen schlaflose Nächte geworden.