ANTWORT von Boris Gloger:
Die agilen Evangelisten der ersten Stunde, u.a. ich selbst, hatten den Vorteil und den Nachteil, dass wir keine externen Consultants einkaufen konnten, die uns gezeigt hätten, wie agiles Arbeiten funktioniert. Ich habe zwar Ken Schwaber 2004 nach Wien zu meinem ersten Scrum- Team geholt, und ihn mit meinen 5 Entwickler:innen sprechen lassen, doch das war in dem Sinne keine Beratung, wie sie heute existiert.
Dann, wenige Monate später rief mich die Software Entwicklungsabteilung der damaligen Web.de an. Andreas Schliep, der damalige Teamleiter der Software Entwicklung und heutige Co-Founder der Beratungsfirma “Das Scrum Team”. Er bat mich, ihnen dabei zu helfen, Scrum auszuprobieren; sie hatten schon, so wie ich damals begonnen und gemeinsam begannen wir zu lernen, wie agiles Arbeiten geht.
Auch heute gibt es das Phänomen, dass Menschen in ihren Organisationen beginnen, mit Scrum und anderen Management-Frameworks selbst zu experimentieren und einige haben sogar das große Glück, dass sie selbst bereits in anderen Unternehmen profunde Erfahrungen sammeln konnten. Gerade habe ich mit einer Art Head of Innovation in einer großen Firma gesprochen, der selbst im eigenen Haus als Berater und Moderator agiert, um die agilen Prinzipien in die Organisation zu tragen. Also ja – es ist möglich die agile Transformation aus sich heraus zu beginnen.
Und – dieser Ansatz ist langsamer.
Oft ist hier keine bewusste Entscheidung der Geschäftsleitung, sich für eine veränderte Arbeitsweise einzusetzen, vorhanden. Das heißt viele Aktivitäten finden im Verborgenen oder geduldet statt.
Ein großer Konzern hatte 50 Projekte, in den agiles Vorgehen ausprobiert wurde, ohne dass die Hauptabteilungsleiter etwas davon wussten. Erst als wir die Führungskräfteworkshops mit ihnen so gestalteten, dass diese Projekte dort aufschienen, begann das Verständnis, weshalb diese Themen erfolgreich waren.
Die aus unserer Sicht offensichtlichen Vorteile, sich an eine:n Berater:in zu wenden, sind
- Es gibt schon eine Bereitschaft zur Veränderung, wenn externe Berater:innen engagiert werden. Allerdings oft nur bei dem, der den Auftrag erteilt. Hier ist dann oft die Kompetenz der BeraterInnen gefragt, Teams und Führungskräfte zu motivieren, ein neues Vorgehen auszuprobieren, um selbst feststellen zu können, wie nützlich dieses neue Arbeiten ist. Bei – heute würde man Transformation sagen – der IT in einem Energiekonzern, war durch unser Hinzuziehen von vorneherein auch klar, es gab eine Erwartungshaltung und damit auch die Aufmerksamkeit des Managements für diese Aktion. Diese Entscheidung war dann auch hilfreich, wenn es darum ging, mit den externen Dienstleister:innen ins Gespräch zu kommen. Hier wurde dann deutlich, dass ab sofort unter anderen Voraussetzungen gearbeitet werden sollte.
- Der aus meiner Sicht zweite wesentliche Faktor ist das Know-how und die Erfahrung, die Kund:innen durch externe Beratung einkaufen. Web.de hatte mich wegen meiner Erfahrung eingekauft. Auch das ist heute noch so – wir werden wegen unserer mittlerweile sehr weitreichenden Erfahrung eingekauft. Unsere Berater:innen haben viel, sehr viel gesehen. Unterschiedliche Branchen, unterschiedliche Herausforderungen unterschiedliche Kulturen und viele unterschiedliche Teams, Software und Hardware-Projekte. Eine unserer Berater:innen bringt sogar NGO Know-how mit und kann zeigen, wie man Agile in Arts macht. Ja – es kann den Glücksfall geben, dass eine Organisation sich jemanden eingestellt hat, der auch das alles gesehen hat (und zum Beispiel ein Ex-Mitarbeiter:in von borisgloger eingestellt hat), doch in der Regel ist das nicht so. Wir machen noch immer die Erfahrung, es fehlt einfach das Know-how – eine Zertifizierung macht noch keinen guten Coach oder Consultant.
- Der dritte Punkt: Der agile Hub wird mitgekauft. Einen agile Hub, also eine interne Beratung aufzubauen, die aus 5 bis 10 Consultants besteht, die alle dann innerhalb der Organisation wiederum die Teams betreuen soll, ist wünschenswert, doch das dauert seine Zeit. Viel Zeit und Energie wird benötigt, dass dieses Team selbst erst einmal starten kann. (Einige unsere Beratungsaufträge bestanden darin, genau diese Teams aufzubauen und das verlangsamte dann die Transformation in anderen Bereichen). Doch - natürlich ist das auf längere Sicht der richtige Weg. Wer aber die Gunst der Stunde nutzen will, der braucht die Geschwindigkeit von erfahrenen aufeinander eingespielter Teammitglieder, die nur ein Ziel haben, die Kund:innen zufriedenzustellen und die nicht innerhalb ihrer eigenen Reihen darüber nachdenken müssen, wer jetzt wohl beim Chef besser ankommt, um die eigene Karriere zu fördern. Daran anschließt auch die Tatsache, dass selbst ein großes Projektteam, dass wir stellen können, noch immer nicht alles gesehen hat, doch die übrigen Consultants bei borisgloger können jederzeit unterstützen. Sei es ganz profan bei Urlaubsvertretungen, die Kund:innen-Teams werden dann nicht allein gelassen, sondern weiter effektiv geführt oder durch die Chance, dass unsere Kolleg:innen jederzeit auf die Unterstützung (inhaltlich wie auch moralisch) von unseren Kolleg:innen zählen können.
Das ist vielleicht der entscheidende Nachteil des Versuchs intern die Veränderung durchzuführen.
Change ist harte Arbeit, oft mit sehr viel Leidenschaft begonnen, ist es doch so, dass es unweigerlich auch mal zu einer Frustration kommt. Vergeblich versucht man ein Team oder eine Führungskraft zu überzeugen, oder hat sich vielleicht sogar mit der eigenen Führungskraft heftig gestritten – wohin geht diese Person dann? Zu einem Kollegen? Das vergiftet die Atmosphäre noch mehr, zur nächsten Führungskraft - in vielen Organisation ein Tabu. Schnell ist dann das Gefühl der Ohnmacht überwältigend und der interne Consultant verlässt frustriert das Unternehmen (habe ich sehr oft gesehen.)
- Der vierte Grund, der für das Arbeiten mit externen Consultants spricht, ist die Objektivität und die Durchsetzungsfähigkeit. Ich habe borisgloger u.a. deshalb gegründet, weil ich einen sicheren Hafen für unsere Consultants bieten wollte. Sie sollten in der Lage sein, offen und ehrlich ihre Meinung Kund:innen gegenüber zu äußern. Sie sollten aufzeigen können, was der Fall ist und die Fakten darstellen – ohne Angst haben zu müssen, diese objektivierten Erkenntnisse könnten der Karriere schaden. Ein externer Consultant sieht die Dinge noch so wie sie sind. Die berühmte Geschichte vom “Des Kaisers neue Kleider” illustriert das – ein Consultant ist so naiv, politikfrei und offen die Parafunktionalitäten einer Organisation ansprechen zu können. Er/sie weiß nicht, dass man es hier so macht, weil man es immer so macht. Er/sie weiß auch nicht, was nicht geht, und tut es einfach – und oft zeigt das den internen Kolleg:innen, was alles gehen könnte. So hat ein Kollege einmal eine Wand-Vitrine abgeschraubt, weil er Platz für ein Whiteboard und Taskboard brauchte. Er wusste nicht, dass man dafür eine Erlaubnis vom Facility Management benötigt, die er nie bekommen hätte. Als das bekannt wurde, gab es schon einen Aufschrei, doch da das Team effektiver wurde, verhalte dieser Schrei und die Organisation konnte damit leben, dass dieses Möbelstück nicht gebraucht wurde.
Doch wie oben schon erwähnt, oft gibt es in Organisationen 2024 bereits Menschen, die mit agilen Methoden arbeiten, oder davon zumindest in ihrem Studium gehört haben.
Die wahre Kunst des externen Beraters liegt darin,
gut mit anderen externen, aber vor allem mit den internen Consultants und Mitarbeiter:innen zusammenarbeiten.
Hier geht es nicht nur um das voneinander lernen. Interne Mitarbeiter:innen können sich manchmal mehr Zeit nehmen oder sie können noch mit weiteren Argumenten die Veränderung untermauern. So hat einmal die interne Organisationsentwicklung einer Bank begonnen, selbst mit agilen Methoden zu arbeiten; angestoßen von den Erfahrungen durch unsere Kolleg:innen und genau dieses Beispiel hat dann Schule gemacht und wieder andere Teams überzeugt.
Und manchmal, wie bei einem großen Konzern erlebt, ist es so, dass die externen Consultants Dinge sagen dürfen, die dann gehört werden – und sich die Internen wundern. Denn der Externe hat mehr oder weniger genau das Gleiche gesagt, wie vorher die Internen. Eine agile Transformation, eine agile Projektbetreuung, das Einführen von Design Thinking in einer Produktentwicklungsabteilung geht nur mit unseren Kund:innen.
Gute Berater:innen sind dabei nicht nur Führer:innen, sondern auch Sherpas, sie zeigen, wie gute Hauslehrer:innen oder Personaltrainer:innen nicht nur wie es geht, sondern unterstützen auch das Machen. Denn es geht nicht ums Wissen, wie es geht, sondern darum es zu tun – und dieses Tun, ins Können unserer Kund:innen-Organisationen zu überführen.
Berater:innen - wie wir - sind den Weg schon öfter gegangen
und kennen die Fallstricke und möglichen Schlaglöcher auf dem Weg der Veränderung. Für unsere Kund:innen diese zusammengetragen haben Christoph Schmiedinger und Carsten Rasche in ihrem Buch Agile Transformationen abseits vom Happy Path, und ich selbst zeige in Scrum Think BIG, was man alle berücksichtigen muss, wenn man mehr als ein kleines Projektteam agilisieren will.
Für mehr Informationen, was einen bei agilen Implementierungen erwartet, empfehle ich zum Abschluss noch die vielen Case Studies und Whitepaper – kostenlos und frei verfügbar auf unsere Website.
Titelbild: iStock/SDI Productions