Als ich vor ein paar Wochen auf Fast Company den Artikel über den Versuch von Zappos-Gründer Tony Hsieh las, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter per Dekret zur Selbstorganisation zu zwingen, musste ich schmunzeln. In den Zeilen seiner E-Mail konnte ich förmlich spüren, wie genervt und hilflos er ist. Psychologen nennen das wohl „Übertragung“: Ich bezog mich auf ihn, ich konnte mich in ihn hineinversetzen, weil ich vor drei, vier Jahren genau so hilflos war. Ich wollte unser Unternehmen, Boris Gloger Consulting, zu einem Ort der Selbstorganisation machen, den Kolleginnen und Kollegen die Verantwortung für unser Unternehmen und so viel Entscheidungsspielraum wie nur irgend möglich geben. Aber sie nahmen das Angebot nicht an. Die Menschen in unserem Unternehmen wollten Anleitung, ließen sich von vermeintlichen Chefs kommandieren und die Hierarchie schlug ständig zu. Aber ich will hier gar nicht von uns sprechen, sondern nur deutlich machen, dass ich die Lage von Tony Hsieh zu verstehen glaube.
Schmunzeln musste ich, weil Hsieh meiner Auffassung nach in seiner Hilflosigkeit genau den Fehler macht, den er bekämpfen will: Er schlägt als CEO nach Chefmanier zu und fordert die Veränderung ein. Übersetzt sagt er eigentlich: „Wer nicht mitmachen will, darf gerne gehen!“ Das erzeugt keine Sicherheit oder das Gefühl: „Mein Chef versteht mich und ist für mich da.“ Es erzeugt nur noch mehr Druck. Druck, weil ich als einzelner Mitarbeiter - so zeigt es mir mein Boss Hsieh gerade - offenbar nicht dazugehöre, wenn ich nicht folge. Gleichzeitig ist Hsiehs Impuls verständlich, er legt damit aber auch offen, dass er selbst die neue Klaviatur der Führung im Kontext der Selbstorganisation noch nicht perfekt beherrscht. Also lebt er in seiner Firma die alte, traditionelle Struktur. Das soll kein Vorwurf sein, sondern eine Analyse: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Die Veränderung zu einer anderen Organisation fängt immer und ausschließlich bei der Führung an. Klar gibt es Grassroot-Bewegungen und die agile Community hat so begonnen, aber in einer Organisation braucht es den so oft zitierten Buy-in der Top-Führung. Dieser Buy-in ist aber nur ein Anfang. Wie es funktionieren kann, lernt man am Beispiel von Bodo Janssen, CEO und Eigentümer der Hotelkette Upstalsboom.Im Video "Wertschöpfung durch Wertschätzung" zeigt er wunderbar, dass die Veränderung seiner Organisation mit ihm selbst angefangen hat. Das Ändern seiner Haltung war entscheidend. Sicher, er als CEO musste einen Weg finden, um seine Mitarbeiter mitzunehmen, aber das gelang nur durch sein aktives Engagement. Sein ständiges Arbeiten an seinen Ideen und sein ständiges Kommunizieren darüber veränderte das Unternehmen innerhalb von zwei Jahren. Das bestätigt auch die Forschung von Frederick Laloux. Obwohl einige sicher mit Recht sagen, dass sein Buch "Reinventing Organizations" keine großartigen neuen Erkenntnisse enthält, macht Laloux sehr deutlich, dass die Veränderung mit der Haltung des CEO steht und fällt und es dann beinahe egal ist, wie der Weg zur Teal-Organisation aussieht. Ich erwähne Laloux an dieser Stelle, weil er diesen Aspekt in dem von Hsieh zitierten Skype-Call vergessen zu haben scheint. Denn er hätte Hsieh vielleicht raten sollen, an seiner eigenen Haltung zu arbeiten anstatt einen Mechanismus einzuführen und die Nichteinverstandenen gehen zu lassen.Achtung: Es liegt mir fern, Hsieh oder Laloux zu kritisieren, denn ich kann das absolut nachvollziehen. Ich möchte nur etwas deutlich machen: Selbstorganisation braucht einen Rahmen und einen Menschen, der diesen Rahmen - Nonaka nennt das Ba (Raum) - aufspannt. Dieser Mensch muss diesen Raum so erfüllen, dass die Kollegen darin beginnen können, sich selbst zu organisieren und Entscheidungen selbst zu fällen. Diesen Raum zu erzeugen und auszuhalten, dass es nicht sofort so funktioniert wie man es sich als Chef wünscht, immer wieder aufs Neue die eigenen Verhaltensweisen zu hinterfragen und zu einer neuen Form von Führung und des Arbeitens zu kommen - das ist ein langer Weg. Ich weiß aber, dass sich dieser Weg auszahlt.