„Nein, das ist nicht modernes Leadership, dein Glaubenssatz ist noch nach altem Muster.“ Was sollte ich mit so einem Feedback anfangen? Im borisgloger-internen Training „Selbstorganisation braucht Führung“ haben wir über uns als Unternehmen reflektiert und gefragt: „Wo stehen wir in der modernen Führung?“ Ich habe dieses Feedback bekommen. Das tut ein wenig weh und ist zugleich ein echter Augenöffner.
Leadership ist in modernen Organisationsstrukturen auf allen Ebenen erforderlich und fängt bei einem selbst an (sich selbst führen). Die Führungskraft gibt zunächst den Rahmen vor, indem sie Netzwerke und flache Hierarchien ermöglicht. Ob die Netzwerke dann Tribes, Squads, Cluster, Chapter, Zellen, Produkt- oder Serviceteams heißen, ist egal. Sie haben alle eines gemeinsam: Sie führen die jeweils erforderlichen Fähigkeiten und Informationen zusammen, sodass die Teams ihr Produkt selbstorganisiert liefern können. Die Rolle der Führungskraft ist, die Kommunikationsprozesse in Gang zu halten.Das Team wird so zur Selbstorganisation befähigt. Denn wenn die Informationen innerhalb des Unternehmens schnell dorthin gelangen, wo sie gebraucht werden, können die Menschen mit den erforderlichen Fähigkeiten autonom Produkte bauen.
Im entstandenen Teamgefüge (dem „System“) sorgt die Führungskraft mit Fragen und Interventionen dafür, dass sich das Team im Spiegel betrachtet, seine Arbeitsweisen selbst hinterfragt und verbessert. Die letztendlichen Entscheidungen liegen im Team. Die Führungskraft muss „loslassen“.Das ist die erste Veränderung, die es zu verinnerlichen gilt: Im modernen Leadership geht es um das Zusammenführen von Fähigkeiten und um das System (ein Team, eine Organisation). In diesem systemischen Ansatz geht es nicht mehr um den einzelnen Menschen. Echt?! In diesem manchmal esoterisch anmutenden agilen Vorgehen geht es nicht um den einzelnen Menschen? Genau. Systemisch gesehen und auf Führung bezogen geht es für die Führungskraft darum, die richtigen Fähigkeiten zu orchestrieren, das System als Ganzes zu betrachten und dieses System zum Kommunizieren zu bringen. Dazu setzt die Führungskraft den Rahmen. Anschließend agiert das Team komplett autonom. Entscheidungen innerhalb des Teams werden ausschließlich vom Team getroffen. Wenn ich als Führungskraft nach meiner Meinung gefragt werde, höre ich sensibel hin, ob ich als Experte gemeint bin oder als – ehemalige – funktionale Führungskraft, an die das Team die Verantwortung (wieder) zurück delegieren möchte.
Hier im Training, wo wir über uns als Unternehmen sprechen, stelle ich eine einfache Frage. Wieso lassen wir es zu, dass sich unsere ScrumMaster mitten in der Woche einen ganzen Tag zu einem ScrumMaster-Tag zurückziehen, obwohl wir doch alle beim Kunden (besser) wirken könnten? Da bekomme ich das Feedback: „Ssonja, du agierst gerade nach einem Glaubenssatz. Du traust den Menschen nicht zu, diese Entscheidung selbst zu treffen. Du denkst, die ScrumMaster berücksichtigen bei ihrer Entscheidung, sich einen ganzen Tag – mitten in der Woche – herauszuziehen, nicht alle Perspektiven (Ökonomie, Kundenbedarfe und Unternehmensinterna). Das ist ein alter hierarchischer Glaubenssatz: Sie können solche Entscheidungen nicht treffen.“ Das verneine ich, vehement. Aber wenn ich ehrlich bin: Es stimmt.
Ich halte mich für eine moderne Führungskraft und dennoch muss ich einiges alt hierarchisch Geprägtes in mir hart hinterfragen. Glaubenssätze gehören dazu. Wenn wir Selbstorganisation und Autonomie innerhalb eines fest gesteckten Rahmens wollen, dann muss ich daran glauben, dass die Menschen so handeln können. Ich muss es glauben, nicht nur zulassen oder darauf vertrauen. In meiner eigenen Erfahrung und Transformation von einer klassischen zur modernen Führungskraft habe ich erlebt, dass Teams dadurch besser und mit mehr Freude Produkte liefern. Ich merke aber auch: Ich bin noch mitten in meiner eigenen Transformation. Denn zutiefst daran glauben, dass es Teams in jeder Situation können, tue ich noch nicht. Ich hätte einen internen ScrumMaster-Tag auf einen Freitag gelegt. Das sagt viel mehr über mich und meine klassischen Glaubenssätze aus als über das hochengagierte Team, das sich sehr wohl die gleichen Gedanken gemacht hat.Selbst wenn ich Recht haben sollte und die Teamentscheidung möglicherweise “falsch” war, ein selbstorganisiertes Team kann nur aus Fehlern lernen. Erst das führt aus der Komfortzone und zur echten selbstgewollten Weiterentwicklung. Ansonsten drängen wir selbstorganisierte Teams wieder in die Infantilität. Das gibt vielleicht dem ein oder anderen ein gutes Gefühl, vornehmlich dem „mächtigeren“ allwissendem Eltern-Ich der Führungskraft oder einzelnen Teammitgliedern, welche die Verantwortung scheuen, die Entscheidungen so mit sich bringen. Es geht aber zu Lasten viel besserer zukünftiger Ergebnisse.
Es tut gut, sich ab und zu einen Boxenstopp zum eigenen modernen Leadership zu gönnen und anhand alltäglicher Entscheidungen und Vorgehensweisen zu überprüfen, wo man steht.Ich kann Ihnen dafür das Training „Selbstorganisation braucht Führung“ sehr empfehlen. Hier finden Sie alle Termine. Sie können es übrigens auch in Ihrem Unternehmen vor Ort oder als Remote-Variante durchführen.Bild: Pexels License, Pixabay