Hélène Valadon arbeitet bei uns mit den ganz großen Kunden, den DAX® Konzernen. Da werden ganze Bereiche umgebaut, Hardware entwickelt oder mal eben Projekte mit hundert Leuten und mehr gestartet.Boris: In "Scrum Think b!g" spreche ich ganz bewusst davon, dass Blaupausen beim Skalieren großer Projekte nicht helfen. Du warst u.a. in Trainings bei Dean Leaffingwell (SAFe) und Craig Larman (LeSS). Sind diese Skalierungsframeworks aus deiner Sicht nützlich?Hélène: Craig Larman spricht mir von der Seele, denn er sagt “Skalierung ist Deskalierung”. Das war auch immer unser Motto. Und er betont: Wenn man eine Organisation ändern will, muss man das gesamte System denken und an das, was es liefern kann. Diese Liefersysteme muss man identifizieren, statt nur in Funktionen und Aufgaben zu denken und dadurch lokale Optimierungen durchzuführen.Weniger Übereinstimmung finde ich da mit SAFe, denn es bildet im Prinzip die aktuelle Organisation ab und versieht die Positionen mit neuen Rollennamen, die agil klingen. Man bekommt ein Abbild des alten Systems und versucht, die Prozesse zu optimieren.Larman hingegen spricht von bestimmten Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche agile Skalierung gegeben sein müssen, und einen solchen Rahmen steckst ja auch du ab. Es ist nicht nur eine Frage der Methode, man muss auch die Architektur, die Kompetenzen, den Ansatz der Produktentwicklung und schlussendlich die Führung neu denken.In großen Unternehmen oder großen Projekten merke ich aber oft, wie schnell die zentrale Idee des teambasierten Systems vergessen wird. Diese autonomen, fachlich kompetenten Einheiten muss man aufbauen, damit ein System schnell wird. Sofern es notwendig ist, koordinieren sich diese Teams miteinander. Doch in der Praxis ist seitens des Managements der Drang sehr groß, weiterhin die Steuerung zu behalten und den Teams wenig Autonomie zu lassen.Gleichzeitig zeigen sich Schwächen in dem, was agile Führung eigentlich tun sollte, nämlich den Rahmen zu schaffen mit einer klaren Antwort auf die Frage: “Was wollen wir liefern?” Die Rückkoppelung mit dem Markt und dem Kunden herzustellen, das ist die Führungsrolle. Nicht das Beharren auf Reportingstrukturen mit zig verschiedenen Ebenen und Schwerpunkten, denn das ist Projektmanagement - das wurde schon entwickelt, da brauchen wir nicht den Namen zu ändern. Bei Agilität geht es um das schnelle Liefern, um klare Wertorientierung und teambasiertes Arbeiten. Die Organisation muss dafür den Rahmen schaffen.Boris: Was ist deiner Meinung nach die größte Herausforderung beim Skalieren von Scrum in Großkonzernen?Hélène: Wie schon gesagt, das Teamthema. Und dann das Ändern der Blickrichtung von innen nach außen. Mit Innenorientierung meine ich Silodenken und starre Hierarchien. Zu schauen, was draußen passiert und von außen Feedback einzuholen, das ist die große Herausforderung für die Führungskräfte.Derzeit ist ein Trend zu beobachten: Die Initiative zur agilen Transformation kommt inzwischen sehr oft von den höchsten Führungsebenen. Das ist einerseits gut, weil damit die Unterstützung da ist, allerdings wollen sie dann auch alles gleichzeitig machen. Alle Initiativen sollen agil laufen, die gesamte Organisation soll agil arbeiten. Man will schnelle Lösungen und das am besten wieder einmal durch einen Prozess dargestellt: Wie sollen wir zusammenarbeiten, damit alle sofort agil sind? Das ist wohl das Erfolgsgeheimnis der agilen Skalierungsframeworks, denn das klingt nach solchen schnellen Lösungen.Wenn plötzlich so viele Initiativen gestartet werden, ohne vorher zu wissen, was agil tatsächlich bedeutet, trifft man täglich auf merkwürdige Situationen. “Wir sind doch jetzt agil” wird zur Ausrede für alles. Dabei wäre es für das Management nötig, andere - anerkannte - agile Unternehmen anzuschauen, sich mit der Literatur zu beschäftigen, Trainings zu besuchen, sich wirklich mit den Prinzipien und Werten beschäftigen.Boris: Gibt es etwas in meinem neuen Buch, das dir besonders gefallen hat?Hélène: Ja, die Pyramide, die alle Ebenen aufzeigt, auf denen Veränderungen stattfinden müssen - also Architektur, Infrastruktur, Skills, Produktentwicklung und Scrum. Du machst sehr deutlich, dass es hier nicht nur um einen Prozess geht. Weil aber nicht die ganze Organisation auf einmal umgekrempelt werden kann, versuchen wir immer, zuerst kleine Initiativen zu schaffen, in denen die notwendigen Rahmenbedingungen auf den Ebenen, die du nennst, zu einem guten Teil erfüllt sind. So können alle, inklusive Führungskräfte, live beobachten, was mit agil gemeint ist. Die Vorstellungskraft reicht meist nicht aus, man muss es erleben. Bei den Führungskräften arbeiten wir zusätzlich mit Visualisierung, damit in dieser Komplexität die Zusammenhänge klarer werden und vor allem das transparent wird, was geändert werden muss.
Boris: Transformationen müssen auch noch begleitet werden, wenn wir schon wieder weg sind, am besten von internen Coaches. Wie baust du solche Coaching Teams auf, die man ja für ein Unternehmen mit tausenden Mitarbeiten braucht?Hélène: Das ist das Wichtigste, dass Unternehmen die Eigenkompetenz aufbauen. Natürlich im Coaching, und da wiederum speziell im Teamcoaching, im Product Ownership und im Leadership. Genau so wichtig sind aber auch Engineering-Praktiken und Produktarchitektur. Wir bilden diese Coaches im Team nach dem Shadowing-Konzept aus:Die zukünftigen internen Coaches beobachten zuerst, wie wir es machen und nach einiger Zeit tauschen wir die Rollen und wir sind die Beobachter. Am Anfang ist die externe Expertise extrem hilfreich, weil man sich sonst nur im Kreis dreht und vieles nicht sieht, was eigentlich ein Problem ist. Wichtig ist vor allem beim Coaching der ScrumMaster, den Fokus nicht zu einseitig auf die Methode Scrum zu legen, sondern auch Themen wie Architektur, Engineering etc. aufzunehmen.Boris: Hélène, vielen Dank für das Interview - ich wünsche dir noch viel Erfolg bei deinen Projekten.
Würde mich freuen, wenn ich euch auf mein neues Buch "Scrum Think b!g - Scrum für wirklich große Projekte, viele Teams und viele Kulturen" neugierig gemacht habe.