Krösus war der letzte König von Lydien. Er regierte von etwa 555 bis 541 vor Christi Geburt. Der griechischen Sage nach befragte Krösus seinerzeit das Orakel von Delphi, ob er einen Sieg davontragen würde, wenn er gegen die befeindeten und mächtigen Perser marschiere. Das Orakel antworte dem König mit den folgenden Worten:[quote author = "Orakel von Delphi"]„Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören.“[/quote]Krösus frohlockte und dachte sich gleichzeitig, welches Reich wohl mächtiger als das der Perser sein könne und zog mit seinem Heer, motiviert von den Worten des Orakels, hochmütig und siegesgewiss in den Kampf. Schließlich hatte ihm das Orakel praktisch garantiert, dass er einen großen Sieg davontragen würde. Die Geschichtsbücher besagen jedoch, dass Krösus die Schlacht gegen die Perser verlor. Was war passiert? Hatte das Orakel von Delphi gelogen? Mitnichten. In seinem Wunsch nach einem epochalen Triumph hörte Krösus nur noch, was er hören wollte. Was er überhörte, wenn nicht gar ignorierte, war die Rückfrage, welches Reich das Orakel mit der Prophezeiung wirklich gemeint hatte. So besiegelte Krösus seinen eigenen Untergang.Krösus erinnert mich mit seiner fatalen, aber durchaus bei uns Menschen gängigen Art der Entscheidung an die vier blinden Gelehrten, die herausfinden wollten, wie ein Elefant aussieht. Der erste ertastete den Rüssel des Elefanten und meinte, dass ein Elefant wie ein langer Arm aussehen müsse. Der zweite Weise ertastete das Ohr und meinte, ein Elefant sei wie ein großer Fächer. Der dritte Gelehrte, der die Beine ertastete, meinte, ein Elefant sei wie die Säulen eines Palastes. Der vierte Weise, der den Schwanz ertastete, beschrieb den Elefanten schließlich als ein dickes langes Seil.Natürlich ging jeder der vier weisen Männer davon aus, dass seine Erklärung der Realität die richtige sei und gleichzeitig schlossen sie damit andere denkbare Beschreibungen aus. Krösus war von dem Bild der Zerstörung eines großen Reiches - dem der Perser - so überzeugt, dass er vollkommen blind für andere mögliche Interpretationen bzw. Konstruktionen seiner Wirklichkeit war. Er hörte, was er hören wollte.
„eine Führungspersönlichkeit, die verändern will, (...) ein Change Agent, der die Macht, die Gegebenheiten zu ändern, nicht aus seiner Position bezieht, sondern aus seiner Überzeugung und aus dem Rückhalt, den er von Menschen bekommt, für die er sich einsetzt“ [1], darf unter keinen Umständen so blind oder vielmehr taub wie Krösus (re-)agieren. Sie/er muss sich darüber bewusst sein, dass sich sowohl verbale als auch nonverbale Botschaften durch Indirektheit, Mehrdeutigkeit, Ungenauigkeit, Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit oder Parallelität auszeichnen. Um diesem besonderen Anspruch zu genügen und seine besondere Verantwortung „from the Position of No-Power“ gewinnbringend und im Sinne einer Veränderung auszuüben, bedarf es der besonderen Fähigkeit des Zuhörens. Ein guter ScrumMaster muss ein guter Zuhörer sein.
Die enorme Bedeutung des Zuhörens und die unzähligen Veröffentlichungen zu diesem Thema führten dazu, dass die verwendeten Begrifflichkeiten wie Kraut und Rüben durcheinander gerieten, synonym oder in ihren Bedeutungen falsch verwendet wurden. Selbst für das von Carl Rogers vor fast sieben Jahrzehnten beschriebene aktive Zuhören finden sich diverse Definitionen. Ich möchte dieses Wirrwarr ein wenig entzerren und ScrumMaster mit einem übersichtlichen Zuhör-Portfolio ausstatten. Denn wie schon Calvin Coolidge, 30. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, sagte: „Zuhören können ist der halbe Erfolg.“Aus meiner Sicht gibt es fünf Formen des Zuhörens:
Probieren geht über studieren. Nicht selten gibt es auch Vermischungen bei den Formen des Zuhörens. Ich kann jeden ScrumMaster nur einladen, sich auszuprobieren und sich regelmäßig zu hinterfragen, ob man auch richtig zugehört hat. Zur Vertiefung des Zuhörens möchte ich noch zwei Übungen, die einen ScrumMaster zum guten Zuhörer machen, anführen:
Beim Voice Mirror sprechen wir Wort für Wort bei den Ausführungen unseres Gegenübers mit. Das Nachsprechen geschieht jedoch lautlos und ist von außen nicht offensichtlich wahrnehmbar. Diese Zuhör-Technik unterstützt dabei, die eigene Aufmerksamkeit vollkommen und nahezu ungestört auf den Kommunikationspartner zu fokussieren. Eigene Gedankengänge werden auf diese Weise ausgeblendet.So kannst du den Voice Mirror in drei Schritten üben
Schalte den Fernseher oder das Radio an und wähle eine beliebige Stimme aus. Flüstere anfangs synchron mit dem Sprecher Wort für Wort mit (Tipp: Nachrichtensendungen bieten sich hierfür besonders an).
Wenn du bereits etwas vertrauter mit dem synchronen Flüstern bist, dann stelle den Ton leiser und bewege nur noch deinen Mund zu dem Gesprochenen mit.
Sprich das Gesagte nur noch in Gedanken Wort für Wort mit.
Wie wir am wenig nachahmenswerten Beispiel von Krösus erfahren haben, erscheint es sinnvoll, eine (Problem-)Situation oder ein Verhalten aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Das Ziel des Adler-Ameise-Stier-Konzepts besteht in der Dissoziierung des Gehörten unter Nutzung so genannter Metapher-Tiere.
[1] Boris Gloger: Scrum - Produkte zuverlässig und schnell entwickeln. Hanser, 3. Auflage, 2011.