Letztens habe ich mit meinem Zahnarzt über die Software gesprochen, die er in seiner Praxis einsetzt. Die wurde ursprünglich von einem seiner Kollegen gemeinsam mit einem Programmierer entwickelt und zunächst nur in dessen eigener Praxis verwendet. Meinem Zahnarzt hat der visionäre Kollege die Software seinerzeit am Dachboden mit einer solchen Begeisterung vorgeführt, dass für meinen Zahnarzt sofort klar war, dass er auch in seiner Praxis damit arbeiten möchte. In der Zwischenzeit, bis mein Zahnarzt sich die Software leisten konnte, hatte sich der andere Zahnarzt völlig auf das Produkt fokussiert und war nur noch als Geschäftsführer seiner neu gegründeten Software-Firma tätig.In dieser Position lud er alle Nutzer der Software ein Mal pro Jahr zu einem kleinen, kostenpflichtigen Kongress ein. Dort gab es zahnmedizinische Fachvorträge, aber auch völlig „artfremde“ Vorträge. Außerdem hielt er jedes Mal eine Session ab, an der die Entwickler teilnahmen, die Nutzer ihre Wünsche äußern und Feedback geben konnten. Über die einzelnen Vorschläge wurde dann in großer Runde diskutiert. Das jeweils folgende Jahr wurde dazu genutzt, die Vorschläge einzuarbeiten und das Produkt aktualisiert zur Verfügung zu stellen.Ein guter Product Owner versteht seine Kunden Für mich ist der ehemalige Zahnarzt, der zum Geschäftsführer der eigenen Software-Firma wurde, ein tolles Beispiel für einen Product Owner, der Kundennutzen und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen im Blick haben muss, um erfolgreich zu sein. Die Software integrierte alle nötigen Anwendungen, um eine Praxis und ihre Patienten mit einem hohen Qualitätsanspruch zu managen und ließ mehr Zeit für das Wesentliche: Für das Verständnis, WAS dem Patienten fehlt und WIE der Arzt am besten helfen kann. Man konnte in diesem Produkt das Verständnis für die Probleme und Anforderungen der User spüren. Alle bürokratischen und verwaltungstechnischen Aufgaben waren weitgehend auf Knopfdruck zu erledigen. Dafür gab es mehr Möglichkeiten, die Informationen zu den individuellen Behandlungen umfangreich zu dokumentieren, um stets einen aktuellen Überblick zu bekommen.Ich denke, der Software-Zahnarzt hätte sich selbst wahrscheinlich gar nicht als Product Owner bezeichnet, aber er hatte all das, was ein Product Owner braucht. Hat er doch eine Vision gelebt und es geschafft, seinen Kollegen einen Mehrwert bei ihrer täglichen Arbeit zu liefern, den niemand, der die Software einsetzt, heute noch missen möchte. Er hat es außerdem geschafft, die Kundenbedürfnisse so abzufragen, dass alle gerne zu den Veranstaltungen gekommen sind, auch weil es dabei nicht nur um Software und Zahnärzte ging, sondern vielmehr um einen ehrlichen, offenen Austausch zwischen den Kollegen. Es wurde eine Plattform geschaffen, bei denen man Gleichgesinnte getroffen hat, die laut meinem Zahnarzt auch heute noch seine ersten Ansprechpartner für den kollegialen Austausch sind.Allerdings hat sich der Zahnarzt-PO dann aus der Geschäftsführung zurückgezogen. Seitdem bemerkt mein Zahnarzt, wie sich die Qualität des Produktes verändert. Fehlerhafte Updates werden ausgeliefert, auf das Feedback von Kunden wird schwerfällig reagiert, und das persönliche Einholen von Feedback wurde komplett eingestellt.Oder wie es mein Zahnarzt ausdrückte: „Ich habe damals eine Philosophie gekauft. Heute ist es leider nur noch ein Produkt.“Kristina Kleßmann, Scrum Consultant