Ein und dasselbe Thema – viele Sichtweisen und Wissensstände. So sieht es oft in einem Team aus, bevor es an die Entwicklung eines Produkts geht oder ein bestimmtes Problem gelöst werden soll. Mit „Magic System Mapping“ lassen sich individuelle Sichtweisen und Standpunkte, die es innerhalb einer Gruppe zu einem Thema oder Problem gibt, zu einem Gesamtbild zusammenführen.Magic System Mapping beruht auf ähnlichen Prinzipien wie Magic Estimation: non-verbale Kommunikation wird visualisiert. Ich habe diese Methode schon für unterschiedliche Zwecke verwendet:
Um die Methode zu erklären, beginnt man mit einer einfachen Design-Übung, die je nach Gruppengröße 10 bis 15 Minuten dauert. Ausgedacht hat sich das ganze Tom Wujec, Businesss-Visualisierungs-Pionier und Mitgründer der Singularity University, der die Hintergründe fabelhaft in einem TED-Talk vorstellt.
Die Teilnehmer werden begrüßt, anschließend kündigt ihr an, dass ihr mit ihnen jetzt eine viertelstündige Design-Aufgabe mit anschließender Reflexion durchführt. Dazu bittet ihr die Anwesenden, in den nächsten fünf Minuten auf Post-its aufzuzeichnen, wie sie Toast machen. Dazu gibt es drei Regeln:
Optional könnt ihr noch erwähnen, dass zehn Post-its pro Person ein guter Anhaltspunkt für die Granularität der einzelnen Schritte sind. Falls noch nicht geschehen, könnt ihr jetzt die Post-its austeilen.
Nach Ablauf der drei Minuten bittet ihr einen Kollegen damit anzufangen, seine Toastmachschritte auf der freien Wandfläche von links nach rechts aufzuhängen. Dann geht es weiter mit der nächsten Person, er oder sie hängt sein Toastmodell darüber oder darunter. Falls er oder sie ähnliche Schritte hat, können sie unter bzw. übereinander angeordnet werden. Das Ganze wiederholt ihr, bis jeder sein Toastmodell geteilt hat.Nachdem alle ihre Modelle aufgehängt haben, könnt ihr die Teilnehmenden fragen, was ihnen an den unterschiedlichen Modellen auffällt. Zum Beispiel: Wie komplex oder simpel sind die jeweiligen Modelle, werden dabei Personen oder keine Personen gezeigt? Diese Phase könnt ihr kurz halten. Zwei bis drei Wortmeldungen aus der Gruppe genügen.[caption id="attachment_25613" align="aligncenter" width="666"]
6 verschiedene Toast-Modelle im Vergleich[/caption]
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Das zusammengeführte Toastmodell ohne Duplikate in einer Reihenfolge[/caption]Im letzten Schritt geht es darum, eine Synthese zwischen allen Toastmodellen herzustellen. Hier ist als Anforderung: Im finalen Bild darf es keine Duplikate mehr geben und es muss eine Reihenfolge erkennbar sein – und das Ganze soll ohne verbale Kommunikation gelöst werden. Im normalen Arbeitskontext kommt Letzteres auch häufig vor: Beispielsweise bei der Priorisierung von Anforderungen oder dem Treffen von Entscheidungen, ohne dass das Team mit den Stakeholdern sprechen kann.In diesem Prozess werden sehr schnell unterschiedliche Sichtweisen und auch Konflikte in der Gruppe deutlich. Ziel ist es, eine Einigung zu finden und das im Gesamtmodell abzubilden. Schweigen ist hierbei Gold Wert. Interessanterweise funktioniert das ohne verbale Kommunikation deutlich schneller als mit.Als Zeitvorgabe bieten sich für diesen Schritt fünf Minuten an.
Nachdem die Gruppe ein Gesamtbild erarbeitet hat, gibt es erst einmal eine Runde Applaus. Den Reflexionsprozess kann man mit den folgenden zwei Fragen an die Gruppe starten:
Häufig berichten die Teilnehmenden, dass ihnen die Übung gezeigt hat, wie eingeschränkt ihre eigene Sichtweise auf ein Problem ist und wie unterschiedlich die Denkweisen von verschiedenen Personen sein können. Dieser Punkt wird häufig mit unterschiedlichen Expertisen und Spezialisierung in Verbindung gebracht. Einige Personen sind Spezialisten für einzelne Teilbereiche des Prozesses, die sie besonders stark ausdetaillieren – beispielsweise wie ein Toaster funktioniert – und andere beginnen den Toastprozess beim Weizenkorn, das gesät und bewässert wird. Nur durch die Synthese entsteht ein gesamtes System.Als weiterer Punkt kommt in der Reflexion oft auf, dass unterschiedliche Perspektiven im System sichtbar gemacht und berücksichtigt werden können. Etwa die Tatsache, dass manche Menschen ihren Toast mit Butter essen und andere das niemals tun würden. Im Toastmodell werden die unterschiedlichen Belegungspräferenzen häufig durch übereinander hängende Post-its dargestellt.Eine weitere Erkenntnis der Übung ist: Abgebildete Systeme bestehen immer aus Knoten und Verbindungen, die eine Logik herstellen. Die Übersetzung in BPMN-Sprache wäre: flow-basierte Objekte wie Ereignisse oder Aktivitäten und verbindend strukturierende Elemente wie Kanten/Assoziationen oder Gateways.
Nach der Trockenübung mit dem Toastbeispiel könnt ihr euch eurem tatsächlichen Thema oder Problem zuwenden. Der Ablauf ist am Anfang analog zum Toastbeispiel:
Je mehr Runden ihr in die Verfeinerung des Systems steckt, umso klarer wird das System für die Beteiligten. Im Zuge dessen werdet ihr auf immer feingranularere Probleme oder Abhängigkeiten stoßen, für die es Lösungen zu finden gilt.Mein Tipp für diese Phase: Teilt euch in Kleingruppen auf und arbeitet einzelne Teile eurer Systems genauer aus. Nehmt euch dafür je nach Größe und Komplexität des Themas 30 bis 60 Minuten Zeit. Danach stellt jede Kleingruppe ihre Ergebnisse vor, sie werden diskutiert und anschließend in das System eingebaut.Wie viel Zeit ihr für diesen Prozess benötigt, hängt von der Komplexität eurer Fragestellung ab. Ich beginne meistens mit einer dreistündigen Session, in der am Anfang Zeit für die „How to make Toast“ Übung ist. Am Ende wird besprochen, wie an den Ergebnissen weitergearbeitet wird. Ich habe aber auch schon mehrtätige Off-Sites in diesem Stil organisiert.
Das Feedback der Teilnehmenden war bisher immer positiv. Die Methode hat nur einen Haken: Das erarbeite System ist eine Momentaufnahme – abhängig von den Beteiligten, und es hat nur Gültigkeit, solange man in der Gruppe zusammenbleibt. Durch den iterativen Ausarbeitungsprozess hat eine Verständigung auf Begrifflichkeiten und Regeln für das System stattgefunden. Ein Außenstehender kann das Abgebildete nur mit Hilfe von guter Dokumentation verstehen.Das ist aber auch für die Teilnehmenden wichtig: Ab dem Moment, an dem sie den Raum verlassen, machen sie neue Erfahrungen, führen Diskussionen mit Kollegen oder haben Ideen, die Auswirkungen auf das System haben. Was kann man dagegen machen? Man muss den Prozess regelmäßig wiederholen, um ein längerfristiges Alignment herzustellen und das System an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Am Ende ist es die Auseinandersetzung mit dem richtigen Personenkreis zu einem Thema, was uns am Ende erfolgreich macht. Die Visualisierung ist dabei nur ein Hilfsmittel. In diesem Sinne wünsche ich euch viel Erfolg und Spaß beim kollaborativen Visualisieren.
Templates zu verschiedenen Themen:DrawToastMural - ein gutes Tool für kollaboratives VisualisierenOriginalartikel erschienen im ProjektMagazin - verwendet mit freundlicher Genehmigung.Foto: CC0 Creative Commons - pixabay, pexels